Industrie 4.0 ermöglicht die flexible Produktion.
17. November 2016

Digitalisie­rung eröffnet neue Perspekti­ven

Die FHNW hat im Bereich Industrie 4.0, der vierten industriellen Revolution, eine führende Rolle inne. Davon zeugt der erste «Swiss Industry 4.0 Award», der 2016 an die Fachhochschule Nordwestschweiz ging. Die FHNW hat ihre Aktivitäten rund um die Thematik Industrie 4.0 in einem Kompetenzzentrum unter der Ägide der Hochschule für Technik FHNW gebündelt.

Industrie 4.0 ist eigentlich ein Marketingbegriff, der das erste Mal auf der Hannovermesse im Jahr 2011 genannt wurde. Gemeint ist damit die Digitalisierung der Produktion in der Industrie. «Die Digitalisierung wird genutzt, um die gesamte Wertschöpfungskette und somit auch die Produktion intelligent zu machen», sagt Markus Krack, Diplomingenieur und Leiter der Technologietransferstelle FITT. «Industrie 4.0 ist keine fixfertige Lösung, die man einfach kaufen und installieren kann, damit ein Unternehmen den Industrie-4.0-Standard erreicht.» Merke: Ein Starterkit Industrie 4.0 gibt es nicht. 

«Industrie 4.0 ist keine fixfertige Lösung, die man einfach kaufen und installieren kann, damit ein Unternehmen den Industrie-4.0-Standard erreicht.»
Markus Krack, Diplomingenieur und Leiter der Technologietransferstelle FITT

Es sind vielmehr einzelne Elemente, die man intelligent über das Internet der Dinge vernetzt. Digitalisierung bedeutet, dass die Dinge miteinander kommunizieren. Maschinen sprechen mit Maschinen und machen somit Hierarchien flach und Entscheidungen werden dezentralisiert. Zielsetzung von Industrie 4.0 ist die hochflexible Massenproduktion mit dem Fokus Losgrösse 1. Ein Kunde kann sich so in Zukunft seine individualisierten Armaturen für das Badezimmer bestellen, ohne dass nennenswerte Mehrkosten entstehen.

Interdisziplinäres Kompetenzzentrum

Die Digitalisierung erfordert ein hohes Mass an Interdisziplinarität aus verschiedensten Bereichen wie Automation, Maschinenbau, Elektrotechnik und Informatik. Aus diesem Grund hat die FHNW ihr Know-how in einem interdisziplinären «Kompetenzzentrum Industrie 4.0» unter der Leitung der Hochschule für Technik FHNW gebündelt. Die Technologietransferstelle FITT koordiniert die Aktivitäten. Daran beteiligt sind die Hochschule für Angewandte Psychologie FHNW und die Hochschule für Wirtschaft FHNW.

Die Digitalisierung erfordert ein hohes Mass an Interdisziplinarität.

Unternehmen profitieren von der FHNW

Die Leistungen des Zentrums umfassen eine reichhaltige Palette an Angeboten für Unternehmen. Das können Erstberatungen sein oder konkrete Projekte mit Studierenden wie Bachelor- und Masterthesen in den vielfältigen Disziplinen von Industrie 4.0. 

Aber auch grössere Projekte in der angewandten Forschung und Entwicklung können realisiert werden. Bei diesen Projekten, meist mit Drittmitteln finanziert, arbeiten die Institute mit ihren Professoren, Professorinnen, wissenschaftlichen Mitarbeitenden und Assistierenden vollzeitlich eine umfassende Lösung aus. 

Ein Beispiel: Christenguss, eine Metallgiesserei aus Bergdietikon, stellt komplexe Sandgussformen im 3-D-Druckverfahren her. Mit Christenguss entwickelt die FHNW derzeit ein neues, digitales Produktionsverfahren, das den Prozess der Gussherstellung revolutionieren soll. Geschäftsführer Florian Christen hat nämlich kein geringeres Ziel, als die 90-jährige Giesserei zu einem der modernsten Betriebe seiner Art in Europa zu machen. Die gesamte Wertschöpfungs- und Lieferkette soll dereinst komplett vernetzt sein. Dadurch würde es möglich, auch sehr kleine Stückzahlen günstig und in hoher Qualität zu produzieren. Das Beispiel zeigt, dass sich den Unternehmen dank Digitalisierung ganz neue Geschäftsmodelle eröffnen.

Hoher Praxisbezug nützt Studierenden

Auch die Studierenden profitieren von dem aktuellen Wissen der Dozierenden in der Digitalisierung. Wichtig ist, dass die Studierenden einen hohen Praxisbezug während ihrer Ausbildung erhalten, wie Markus Krack betont: «Im Rahmen der Studierendenprojekte machen sie fachliche und menschliche Erfahrungen», sagt Krack, «da sie erleben, wie es in einem Betrieb zugeht. Sie erfahren aber auch, dass technisch exzellente Lösungen nicht immer dem Controlling standhalten. 

Für die Initiativen und Ausbildungsangebote im Bereich Industrie 4.0 und der digitalen Transformation ist die FHNW ausgezeichnet worden. Im Sommer 2016 erhielt sie den ersten «Swiss Industry 4.0 Award». Verliehen wurde der Preis von den vier Firmen Autexis, SAP, Siemens, Swisscom und der Hochschule St. Gallen. 

Motivationsspritze

Für Markus Krack ist der Preis eine grosse Bestätigung. «Der Preis macht uns unheimlich stolz», freut sich Krack, «er zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind und die Wirtschaft unsere Initiative honoriert.» Gleichsam sei der Preis für ihn Motivation, neue Ideen zu entwickeln. Eine solche Neuerung wurde im vergangenen April lanciert. Die FHNW bietet eine neue Weiterbildung an, den berufsbegleitenden CAS Industrie 4.0, der ein Semester dauert. «Dieser Lehrgang ist sehr gefragt und war innert kurzer Zeit ausgebucht», unterstreicht Markus Krack den Erfolg des innovativen Engagements der FHNW.

Mehr Informationen über das Projekt

Projektinformationen

Weiterbildung Industrie 4.0 an der Hochschule für Technik FHNW

Technologietransferstelle FITT

Pascal Keller plant Neu­produkte im Bereich der digitalen Druckver­arbeitung

Der FHNW-Absolvent Pascal Keller arbeitet seit April 2016 als Produktmanager bei der Müller Martini Druckverarbeitungs-Systeme AG in Zofingen. Zuvor war er bei der gleichen Firma vier Jahre lang als Inbetriebnahme-Systemspezialist tätig. Bei Kunden in aller Welt begleitete Keller die Inbetriebnahmen der Anlagen von Müller Martini. Bis 2012 hat er an der FHNW in Windisch Systemtechnik studiert. In diesem Studium habe er ein umfassendes Verständnis von überliegenden Systemen und der Vernetzung von Maschinen untereinander erhalten, sagt er. Damit holte er sich das Rüstzeug für seinen neuen Job.

Die Druckverarbeitungs-Systeme von Müller Martini sorgen dafür, dass bereits bedruckte Papierrollen geschnitten, gefalzt, zu Buchblöcken gesammelt und gebunden bzw. geheftet werden. Am Ende steht das fertige Buch oder Magazin. Kennzeichen der digitalen Systeme von Müller Martini ist der hohe Grad an Automatisierung. «Finishing 4.0» lautet denn auch das neue Leitmotiv der Firma und betont die digitale Vernetzung der Systeme. Sie verarbeiten mehrere Aufträge, sprich unterschiedliche Druckerzeugnisse, nahtlos und ohne manuelle Eingriffe. Touchless Workflow lautet das Schlagwort. Die Verarbeitungssysteme stellen vollautomatisch von einem Buchformat auf ein anderes um. Pascal Keller: «Damit wird eine hohe Individualisierung, wie sie die Kunden je länger je mehr wünschen, garantiert.» Konkret: Es ist damit praktisch möglich, dass jedes Buch, das am Ende herauskommt, ein Unikat ist.

Auf Tuchfühlung mit dem Markt: Pascal Keller an der diesjährigen «Drupa», der weltweit führenden Druckfachmesse in Düsseldorf

Pascal Keller ist als Produktmanager für die Produktsparte Digital Solutions, sprich für Druckverarbeitungs-Systeme im Digitaldruck, zuständig. Seine Aufgaben bestehen unter anderem darin, zusammen mit der Technikabteilung Neuprodukte zu planen und bestehende Produkte aufgrund der Marktanforderungen weiterzuentwickeln.

Müller Martini Druckverarbeitungs-Systeme AG

Joël Wasmer sorgt für Automati­sierung in der Lebens­mittel­produktion

Von 2012 bis 2016 hat Joël Wasmer Informatik an der FHNW in Windisch studiert und hat sich dort bereits in Richtung Softwareentwicklung orientiert. Seit diesem Jahr arbeitet Wasmer bei der Autexis IT AG in Villmergen. Ziel von Autexis ist es, dass sich Produktionsanlagen und Logistiksysteme in der Lebensmittelproduktion dank neuen Kommunikationsmodellen weitgehend selbst organisieren – ein klassisches Merkmal von Industrie 4.0 also. Kunden von Autexis sind beispielsweise die Rivella AG, für die Autexis Teile der Produktion automatisiert hat, oder Chocolat Frey in Buchs.

Wasmers Aufgabe ist das Programmieren der Software «Manufacturing Executive System» (MES), einem Produkt und Dienstleistungsangebot der Autexis IT. MES ist die Informationsdrehscheibe zwischen Managementsystemen und der Automation.

Vereinfacht gesagt: Die Software, die Joel Wasmer integriert, ist dafür verantwortlich, dass ein ganzer Produktionsprozess automatisiert werden kann, ohne dass Produktionsaufträge an den Anlagen von Hand ausgelöst werden müssen. Gleichzeitig wird der gesamte Prozess überwacht und kann entsprechend optimiert werden.

Autexis IT AG

Benjamin Heri hält die Roboter auf Trab

FHNW-Student Benjamin Heri, der derzeit an seiner Abschlussarbeit ist, arbeitet seit August 60 Prozent bei Franke Water Systems KWC in Unterkulm. Eine der Aufgaben des Studenten der Systemtechnik (Automation) ist die Offlineprogrammierung der Roboter, welche die KWC-Armaturen aus Messing schleifen und polieren. Offlineprogrammierung heisst: Statt dass die Roboter direkt in der Zelle, in der sie stehen, programmiert werden, schreibt Heri die Programme am Computer und übermittelt sie danach an den Roboter. «Theoretisch könnte der Roboter dann sofort loslegen», sagt Heri, «aber in der Praxis müssen erst Testläufe und Feinabstimmungen vorgenommen werden.»

Der Vorteil dieser Art des Programmierens: Die Roboter stehen viel weniger lang still und können weiter ihre Arbeit verrichten. Derzeit ist der FHNW-Student auch damit beschäftigt, ältere Programme auf ihre Effizienz zu überprüfen. Das Ziel: die Taktzeiten reduzieren und somit die automatisierte Produktion beschleunigen.

Derzeit wird der FHNW-Student zudem bei KWC intern zum Roboterspezialisten ausgebildet. Heri soll künftig bei der Firma, wo er nach Ende des Studiums im Sommer vollzeitlich arbeiten wird, neu erworbene Roboteranlagen programmieren und diese Arbeit ausführlich dokumentieren, um das Wissen weiteren Personen in der Firma zugänglich zu machen.

Franke Water Systems KWC

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