Grenzen überwinden – mit einer Website
Wie bringt man Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten dazu, Hilfsprojekte auf der ganzen Welt zu unterstützen? Diese Frage beantwortete ein Projektteam der Hochschule für Angewandte Psychologie FHNW, indem es an der Entwicklung einer Website für das Fair-Trade-Unternehmen Gebana mitwirkte. Die Forschenden sind dafür bis nach Burkina Faso und Togo gereist.
Schokolade aus Peru, Cashew-Nüsse aus Westafrika, Tee aus Laos: Wer im Internet auf die «Plattform Marktzugang» klickt, bekommt verschiedene Produkte aus allen Ecken der Welt angeboten. Das Besondere dabei: Den Grossteil dieser Produkte gibt es noch gar nicht. Sie müssen zuerst angepflanzt werden, oder es fehlt den Bauern vor Ort an Infrastruktur für deren Verarbeitung. Erst wenn genügend Bestellungen für ein Produkt eingegangen sind – bei der Schokolade aus Peru sind das zum Beispiel 6000 Tafeln –, beginnen die Bauern mit der Produktion. Diese «Production-on-demand»-Plattform aufgebaut haben Julia Klammer, Roger Burkhard und Fred van den Anker von der FHNW in Kooperation mit einem Team der ZHAW und dem Fair-Trade-Unternehmen Gebana. Zuerst galt es herauszufinden, was Kundinnen und Kunden sowie Produzentinnen und Produzenten von einer solchen Website erwarten. Dann wurde sie aufgebaut und schliesslich getestet, wie gut die Nutzerinnen und Nutzer damit zurechtkommen.
Austausch zwischen Süden und Norden
Anfangs sollten auf der zu entwickelnden Website alle möglichen Servicemöglichkeiten angeboten werden», sagt Julia Klammer, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Hochschule für Angewandte Psychologie FHNW. In vielen Gesprächen und Workshops schärfte das Projektteam dann das Ziel der Seite: Die Plattform soll den Austausch zwischen den Produzierenden im Süden und den Konsumentinnen und Konsumenten in Europa fördern und Kleinbauern so den Zugang zu grossen Märkten ermöglichen. Ausserdem sollte eine App für die Kleinbauern entwickelt werden, welche sie dabei unterstützt, längerfristig zu arbeiten und eine Biozertifizierung zu erlangen. Bei der Entwicklung der App bemühte sich das Projektteam, Bauern aus der ganzen Welt einzubeziehen. «Eine grosse Herausforderung war, dass wir unsere Forschungsmethoden bei Personen anwenden mussten, deren Kultur wir nicht kennen und die sehr weit weg sind», erklärt Klammer.
Vor Ort ist alles anders
Um die Verständigung zu vereinfachen und die landwirtschaftlichen Produktionen vor Ort zu sehen, ist die Wissenschaftlerin für Interviews nach Burkina Faso gereist. In einer späteren Projektphase wurde ein Papier-Prototyp der App von Kleinbauern in Togo getestet. Ziel war es, zu überprüfen, ob die App die richtigen Funktionen enthält, ob sie verständlich ist und ob sie die Bedürfnisse der Landwirte erfüllt. «Dabei haben wir erkannt, dass die App zwar verstanden wird, aber die Testpersonen vielmals Mühe mit längeren Textfeldern hatten», sagt Julia Klammer. «Darum setzten wir in der Weiterentwicklung nicht nur auf Text, sondern mehr auch auf Audioelemente.» Klammer wurde bewusst, dass für die Bauern das Projekt nicht leicht zu verstehen ist. «Ich habe gemerkt, dass sie sich unter dem Begriff Plattform wenig vorstellen können», erzählt sie. So ist den Bauern am wichtigsten, ihre Produkte verkaufen zu können und gute Qualität zu erzielen. «Austausch» auf einer Plattform wirkt dagegen abstrakt. Auch hätten die Bauern Schwierigkeiten gehabt, sich ein Projekt vorzustellen, das sich über mehrere Jahre hinwegzieht. Sie seien es gewohnt, viel kurzfristiger zu planen.
Bei ihrem Aufenthalt in Burkina Faso konnte Julia Klammer auch eine Aktion von Gebana hautnah miterleben und erkennen, dass sich trotz intensiver Vorbereitungen nicht alles im Voraus planen lässt. Das Unternehmen wollte Kisten nach Burkina Faso bringen, in denen sich Mangos beim Transport nicht gegenseitig zerquetschen. Es war genau geplant, wie und wann die Kisten verteilt werden sollten. Aufgrund von Schwierigkeiten mit dem Transporter am Zoll und anderen organisatorischen Hindernissen hat die Verteilaktion aber viel länger gedauert, erinnert sich Julia Klammer. «Ich habe gelernt, dass man gewisse Dinge nicht zu detailliert planen sollte, weil vor Ort sowieso alles anders kommt», sagt Klammer und lacht.
Gebana-Kunden wollen nicht klassisch spenden
Für die Entwicklung der Plattform war jedoch nicht nur die Seite der Kleinbauern wichtig. Gebana und das Projektteam wollten auch herausfinden, wo und wie ihre Kundinnen und Kunden helfen wollen. Dazu haben die Forschenden Gruppeninterviews in der Schweiz geführt. Ergebnis: Sie wollen nicht klassisch spenden, sondern mitmachen. «Die Kundinnen und Kunden möchten also Teil eines Projektes sein und nicht nur Geld überweisen», sagt Klammer. Auch diese Erkenntnis floss in den Prototyp der «Plattform Marktzugang» ein. Dieser wurde anschliessend im Usability-Labor der FHNW getestet (siehe Infobox). Im Labor sollten die Testpersonen eine Crowdfunding-Aktion ihrer Wahl unterstützen. So konnten die Forschenden herausfinden, ob die Testpersonen die neue Seite verstehen, und welche Art von Projekten sie interessieren. Mit den Ergebnissen dieser Usability-Tests wurde die Seite weiter optimiert und anschliessend noch einmal getestet. So entstand eine Plattform, welche die Produzierenden im Süden den Konsumentinnen und Konsumenten in Europa näherbringt. Und eine Plattform, die Gebana-Kunden und -Kundinnen in der Schweiz animiert, Kleinbauern auf der ganzen Welt zu unterstützen.
Was wird im FHNW Usability Labor gemacht?
Elektronische Geräte, Software oder Webseiten, aber auch Alltagsgegenstände, Verpackungen oder Fahrzeuge – jedes Produkt, mit dem eine Person eine Handlung ausüben möchte, kann auf Usability getestet werden. «Wir prüfen, ob ein Produkt für das verwendet werden kann, für das es eigentlich gedacht ist», erklärt der Leiter des FHNW Usability Labors Philipp Baumann. Für die Tests werden Personen aus der jeweiligen Zielgruppe in das Labor eingeladen, um verschiedene Aufgaben zu lösen. Bei einer Kaffeemaschine könnte eine dieser Aufgaben sein, die Maschine einzustellen und einen Kaffee herauszulassen. Bei der Erledigung der Aufgabe werden die Testpersonen gefilmt. Ausserdem wird mit einem Eyetracker festgehalten, wohin die Personen blicken, also wo sie beispielsweise den Einschaltknopf der Maschine suchen. Danach werden alle Aufzeichnungen ausgewertet und daraus Vorschläge abgeleitet, wie sich das Produkt verbessern liesse. Ziel der Usability-Tests ist, Produkte so zu gestalten, dass eine Person aus der jeweiligen Zielgruppe sie problemlos verwenden kann.