Debora Mittner, Psychologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hochschule für Angewandte Psychologie FHNW, hat das Toolkit mitentwickelt. Foto: FHNW
16. November 2021

Kreativere Ideen durch mehr Vielfalt

Wo mehr unterschiedliche Perspektiven aufeinandertreffen, entstehen bessere Ideen. Unternehmen und Organisationen können von diesem Effekt profitieren, wenn sie die Diversität ihrer Mitarbeitenden erhöhen und wertschätzen. Ein Team um Prof. Dr. Brigitte Liebig an der Hochschule für Angewandte Psychologie FHNW hat deshalb ein Toolkit zum Thema «Women & Diversity in Innovation» zusammengestellt. Es bietet Informationen und eine grosse Auswahl an Instrumenten, um die Vielfalt und den produktiven Umgang mit ihr zu fördern. Debora Mittner, Psychologin und Fachperson für Gender und Diversität, hat diesen «Werkzeugkasten» mitentwickelt. Im Interview erzählt sie, wie er funktioniert und warum das Thema Diversität in Unternehmen noch lange nicht abgeschlossen ist.



Debora Mittner, was muss man sich unter einem Diversity-Toolkit vorstellen?

Wie der englische Name Toolkit schon verrät, handelt es sich um eine Art Werkzeugkasten zur Förderung von Diversität. Zu finden sind diese Informationen auf der Webseite www.diversity-in-innovation.ch. Die verschiedenen Instrumente sind dort jeweils kurz erklärt und durch Anleitungen und weiterführende Materialien ergänzt. Zudem gibt es auf der Webseite auch gute Beispiele von Diversity-Massnahmen, die wir zusammen mit sechs innovationsstarken Unternehmen in der Schweiz erarbeitet haben.

Für wen ist das Toolkit gedacht?

Die Webseite mit dem Toolkit ist öffentlich und kann beispielsweise von KMUs oder auch von grösseren Organisationen in der Schweiz und im Ausland genutzt werden. Das Toolkit ist auf Deutsch, Französisch und Englisch verfügbar.

«Wir alle haben unbewusste Vorurteile im Kopf. Sie beeinflussen unser Denken und unser Verhalten, ohne dass wir es merken.»
Debora Mittner, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hochschule für Angewandte Psychologie FHNW
Was verstehen Sie unter Diversität bei Unternehmen bzw. Organisationen?

Es geht um die Vielfalt der Mitarbeitenden in Bezug auf verschiedene Merkmale. Das kann etwa das Geschlecht, die sexuelle Orientierung oder die kulturelle Zugehörigkeit sein, aber auch das Alter, der fachliche Hintergrund oder allfällige körperliche oder geistige Beeinträchtigungen.

Ist diese Vielfalt nicht inzwischen selbstverständlich?

Leider nein. Oft fehlt noch immer das Bewusstsein dafür. Viele Menschen merken nicht einmal, dass es da überhaupt ein Problem gibt – also, dass eben nicht immer alle gleichberechtigt sind oder sie sogar selbst von einer Benachteiligung betroffen sind. Wir sprechen hier von «Awareness», die dafür geschaffen werden muss, zum Beispiel in einem Training. Wir alle haben unbewusste Vorurteile im Kopf. Sie beeinflussen unser Denken und unser Verhalten, ohne dass wir es merken. Davor schützt auch die eigene Zugehörigkeit zu einer Gruppe nicht: Dass ich eine Frau bin, muss beispielsweise nicht heissen, dass ich keine unbewussten Vorurteile gegenüber Frauen habe. Sich solcher Dinge bewusst zu werden, ist der erste und wichtigste Schritt in Richtung mehr Diversität.

Diversity kann auf unterschiedlichste Art gestärkt werden. So hat das Pilotunternehmen Comvation Feedback Walks eingeführt, bei dem Mitarbeitende positive Feedbacks und konstruktive Anregungen austauschen. Foto: Comvation AG
Warum ist Diversität auch im Berufsleben so wichtig?

Die Forschung zeigt: Je mehr unterschiedliche Perspektiven in einem Team zusammenkommen, desto kreativer sind hier die Ideen. Das gilt insbesondere, wenn an komplexen Fragestellungen gearbeitet wird – wie zum Beispiel im Innovationsbereich. Die Förderung von Diversität im Berufsleben ist aber auch ein gesellschaftliches Anliegen. Deshalb wurde unser Projekt vom Eidgenössischen Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann finanziell unterstützt. Das Ziel war, mit mehr Frauen und Diversität Innovationen zu fördern, aber umgekehrt auch einen Wandel anzustossen, der zu mehr Diversität und zur stärkeren Beteiligung von Frauen an Innovationen führt.

Wo können Unternehmen ansetzen, wenn sie von Diversität profitieren wollen?

Oft geht man von eher unspezifischen Fragestellungen aus. Viele Unternehmen wollen etwas im Bereich der Diversität tun, wissen aber nicht so recht, wo sie anfangen sollen. Das haben wir beim Aufbau des Toolkit berücksichtigt: Das Toolkit hat verschiedene Ebenen, auf denen es möglich ist, sich von allgemeinen Handlungsfeldern über verschiedene Massnahmenbereiche hin zu den spezifischen Instrumenten durchzuklicken. So können Unternehmen genau diejenigen Ansatzpunkte finden, die für ihre Situation passen.

«Je mehr unterschiedliche Perspektiven in einem Team zusammenkommen, desto kreativer sind die Ideen.»
Debora Mittner, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hochschule für Angewandte Psychologie FHNW
Was ist mit Unternehmen, die schon Vielfalt in der Belegschaft haben?

Bei der Diversitätsförderung geht es nicht nur um die Rekrutierung, sondern auch darum, die bereits vorhandene Diversität besser zu nutzen. Zum Beispiel sollten die Unternehmenskultur und Prozesse so gestaltet werden, dass Angehörige verschiedener Diversitätsgruppen sich mit all ihren Facetten und Fähigkeiten einbringen können – und auch gehört werden.

Wie haben Sie das Toolkit entwickelt?

Die Inhalte haben wir aus der Forschungsliteratur und schon bestehenden Praxistools zusammengetragen. Dabei haben wir darauf geachtet, dass es auch eine Reihe von Instrumenten und Massnahmen gibt, die relativ schnell umzusetzen sind. Komplexe Massnahmen kann sich nicht jedes Unternehmen leisten. Besonders in KMUs ist das Kosten-Nutzen Verhältnis entscheidend, damit Massnahmen auch tatsächlich umgesetzt werden. Mehrere der Instrumente im Toolkit wurden bereits in Unternehmen getestet, so etwa von der Webagentur Comvation oder der Küffer Elektro-Technik AG, um nur zwei zu nennen.

«Viele Unternehmen wollen etwas im Bereich der Diversität tun, wissen aber nicht so recht, wo sie anfangen sollen.»
Debora Mittner, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hochschule für Angewandte Psychologie FHNW
Wie sah die Zusammenarbeit mit diesen Pilotunternehmen aus?

Als erstes haben wir zusammen Bereiche definiert, in denen die Unternehmen Handlungsbedarf gesehen haben. Dazu haben wir passende Instrumente ausgewählt oder neu entwickelt. Diese haben die Unternehmen dann ausprobiert, wobei sie die Umsetzung im Wesentlichen selbst übernommen und gestaltet haben. Wie das konkret ausgesehen hat und wie es damit nun weitergehen soll, kann man im Toolkit bei den Good Practice-Beispielen nachlesen. So hat zum Beispiel Comvation einen Feedback Walk eingeführt, bei dem jeweils zwei Mitarbeitende ausserhalb des Firmengebäudes einen gemeinsamen Spaziergang machen und dabei sowohl positive Feedbacks als auch konstruktive Anregungen austauschen.

Wie sieht die Zukunft des Toolkit aus?

Unternehmen können die Instrumente jetzt mithilfe des online verfügbaren Toolkit anwenden. Natürlich unterstützen wir sie auch in der Planung und Umsetzung, wenn sie dabei Hilfe brauchen. In Zukunft möchten wir das Toolkit noch verbessern und ergänzen. Deshalb würden wir uns auch über Erfahrungsberichte von Organisationen und Unternehmen freuen, die damit arbeiten. Insbesondere sollen noch mehr Anwendungsbeispiele für die Instrumente dazukommen.

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