Ein Schädel mit einem Implantat auf der linken Schädelseite
Erstmals in Europa wurde am Universitätsspitals Basel eine künstliche Schädeldecke bei einem Patienten eingesetzt, die im Spital selbst geplant und im 3D-Druck gefertigt wurde. Die Hochschule für Life Sciences FHNW unterstützte bei der Entwicklung des Prozesses. Foto: ©DCT_USB_PEEK_2023
26. März 2024

Massgefertigte Implantate für chirurgische Perfektion

Spielzeug, Bauteile oder gar Häuser lassen sich mit 3D-Druck-Verfahren herstellen. Diese Technologie kommt zunehmend auch in der Medizin zum Einsatz. Forschende der Hochschule für Life Sciences FHNW haben jetzt dazu beigetragen, dass am Universitätsspital Basel auch Schädelknochen gedruckt und bei Patient*innen eingesetzt werden können – individuell gefertigt vor Ort.

Eigentlich wäre es ein Routineeingriff: Ein Team von Chirurgen des Universitätsspitals Basel hat im August 2023 eine künstliche Schädeldecke bei einem 46-jährigen Patienten eingesetzt. Doch dieser Eingriff war etwas Besonderes, denn erstmals in Europa wurde das Implantat im Spital selbst geplant und im 3D-Druck gefertigt, wobei es internationale Medizinprodukte-Standards erfüllt. Dieser Erfolg ist das Ergebnis einer jahrelangen interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen dem Universitätsspital Basel, der Universität Basel sowie dem Institut für Medizintechnik und Medizininformatik (IM2) der Hochschule für Life Sciences FHNW.

Daniel Seiler ist Laborleiter Medical Additive Manufacturing am IM2 und hat das Projekt eng begleitet. Im Gespräch erzählt er mehr zu diesem Meilenstein der Präzisionsmedizin.

Herr Seiler, was ist der Vorteil, Implantate wie einen künstlichen Schädelknochen direkt im Spital herzustellen?

Analysen von Meldungen bei den Zulassungsbehörden haben gezeigt, dass trotz externer Herstellung auf Basis von CT-Bildern und Patientendaten die Passgenauigkeit manchmal nicht gegeben ist. Dabei ist Passgenauigkeit ein ganz wichtiger Faktor für den Behandlungserfolg. Hinzu kommt, dass so ein intern gefertigtes Implantat auch kostengünstiger ist als ein extern angefertigtes.

Daniel Seiler ist Laborleiter Medical Additive Manufacturing am Institut für Medizintechnik  und Medizininformatik FHNW.
Wie kann es passieren, dass ein Implantat nicht passgenau ist?

Der Arzt oder die Ärztin erhalten vor der Operation vom externen Dienstleister ein digitales 3D-Modell, das sie freigeben müssen. Aber vom Prozess her halten sie das finale Implantat erstmals im Operationssaal in den Händen. Wenn es dann noch angepasst werden muss, verlängern sich die Operationszeit und die Narkosedauer und das Infektionsrisiko für Patient*innen wird höher.

Und wenn das Implantat intern im Spital gefertigt wird?

Dann können die Chirurg*innen das Implantat bereits früher in die Hand nehmen und sich damit vertraut machen, bevor es durch den Reinigungs- und Sterilisationsprozess geht.

Gibt es sonst noch Vorteile?

Im Spital sind wir schneller im Vergleich zu externen Dienstleistern. Momentan dauert der ganze Prozess inklusive Planung, Herstellung, Qualitätssicherung und Sterilisation etwa eine Woche. Wir sind aber zuversichtlich, dass wir diese Zeitspanne nochmals reduzieren können.

Bevor eine künstliche Schädeldecke mittels 3D-Druck gefertigt werden kann, muss das Implantat am Computer geplant werden, so wie hier am Universitätsspital Basel. Foto:  ©DCT_USB_PEEK_2023
Die Zulassung von Medizinprodukten ist generell ein langwieriger und schwieriger Prozess – wie lange dauerte es, bis dieses Implantat einsatzfähig wurde?

Ein solches Implantat gehört zur höchsten Risikostufe, ist also ein Medizinprodukt der Klasse Drei. Das bedeutet auch besonders komplexe Regularien und Sicherheitstests, bevor es für den Einsatz beim Menschen freigegeben wird. Den ersten Kontakt dazu hatte ich mit dem Universitätsspital Basel 2018. Die Operation war im August 2023. Also knapp fünf Jahre. Das ist im Verhältnis zu vergleichbaren Zulassungsprozessen ein Schnelldurchlauf gewesen.

Am Projekt waren Ärztinnen und Ärzte des Universitätsspitals Basel sowie Forschende der Universität Basel und Ihres Instituts beteiligt. Wie kam es zu der Zusammenarbeit?

Das Universitätsspital Basel investiert seit 2016 in ein eigenes 3D-Druck Labor und dessen Leiter und heutiger Chefarzt der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, Prof. Florian Thieringer, suchte damals nach einer Kooperationsmöglichkeit, insbesondere im Bereich des PEEK-3D-Printing. PEEK ist Polyetheretherketon, ein Hochleistungskunststoff, aus dem auch das Implantat hergestellt wurde.

Warum wurde das Material PEEK ausgewählt?

Bei PEEK handelt es sich um ein etabliertes Material, mit dem man viel Erfahrungen hat und für das viel klinisches Datenmaterial vorliegt. Dadurch wissen wir, dass es für den Körper verträglich ist und welche Eigenschaften es hat. Um den ganzen Prozess noch in Relation zur Forschungszeit zu setzen: In der Medizintechnik kann es bis zu 15 Jahre dauern, bis ein neues Material tatsächlich genutzt werden kann.

Ein genau angepasstes Schädelimplantat wird zunächst am Modell eingesetzt. So wird geprüft, ob es passt. Foto: ©DCT_USB_PEEK_2023
Welche Aufgabe hatte Ihr Institut im Rahmen der Zusammenarbeit?

Wir haben dem Forschungsteam um Florian Thieringer bei der Charakterisierung des Materials auf Grundlage der ersten 3D-Druckergebnisse geholfen, die am Universitätsspital Basel hergestellt wurden. Wir haben das Team dabei unterstützt, den Prozess zu verstehen und zu optimieren. Dazu haben wir die Druckerzeugnisse in unserem Labor an der FHNW studiert, analysiert und getestet.

Wie testet man ein solches Implantat?

Die Herausforderung besteht darin, dass es keine grossen Datenmengen gibt, wie sich beispielsweise eine Druckbelastung auf das Implantat auswirkt, also wenn beispielsweise dem Patienten etwas auf den Kopf fällt an der Stelle, wo das Implantat liegt. Das kann man nicht am Patienten messen. In unserem Biomechanischen Labor haben wir aber die Möglichkeit, die 3D-Druckerzeugnisse zum Beispiel durch Zugversuche zu testen. Dabei wird das Objekt auseinandergezogen, bis es reisst. So können die Materialeigenschaften standardisiert überprüft werden. Anhand der Bruchbilder konnten wir Rückschlüsse auf die Qualität der untersuchten Implantate ziehen.

Für welche medizinischen Indikationen eignen sich solche im Spital massgefertigten Implantate noch?

Ein Beispiel sind Knochenbrüche am Boden der Augenhöhle, die zu einer Absenkung des Auges und Doppelbildern beim Sehen führen können. Bisher werden den Patient*innen von Hand zurechtgebogene feine Netze aus Titan eingesetzt, die das ganze stabilisieren sollen. Das funktioniert aber nicht immer. Wir hatten eine Patientin, die deshalb fast sechs Monate arbeitsunfähig war. Nach der Implantation eines massgeschneiderten Implantats konnte sie nach zwei Wochen wieder beschwerdefrei arbeiten.

Wie geht es dem Patienten vom August 2023 jetzt, ein halbes Jahr später?

Von Florian Thieringer weiss ich, dass der Patient gut mit dem neuen Implantat zurechtkommt und keine Probleme hat. Seit August wurden noch weitere fünf Patientinnen und Patienten mit einem direkt im Universitätsspital Basel gefertigten Implantat behandelt.

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