Musik neu gedacht
Musiker*innen müssen schon längst mehr können, als ein Instrument zu beherrschen oder zu komponieren. In der Welt der Musik gibt es viele Berufsbilder. Dem trägt die Hochschule für Musik Basel FHNW mit einer neuen Studienrichtung in Spezialisierter Musikalischer Performance, Music and Research Rechnung. Wenn musikalische Kreativität und wissenschaftliche Neugier aufeinandertreffen, entstehen Ideen und Projekte für das Musikerlebnis von morgen. Die Mezzosopranistin Anne-May Krüger leitet das neue Programm. Im Interview erklärt sie, warum Forschung für Musiker*innen wichtig ist und welche Rolle Techniker und Physikerinnen dabei spielen.
Anne-May Krüger: Das Konzept der Studienrichtung ergänzt unsere wichtigste Expertise: Wir bilden sehr gute Musikerinnen und Musiker aus. Mit dem sich wandelnden Berufsbild heisst das mitunter auch, dass die Leute mehr Kompetenzen im Bereich der Forschung brauchen. Wir konzentrieren uns dabei auf die künstlerische Forschung, das ist ein anderer Weg als in der Musikwissenschaft.
In der musikwissenschaftlichen Forschung spielt die musikalische Praxis als Forschungsmethode meist keine Rolle. Stattdessen werden Forschungsthemen theoretisch untersucht. Unsere Studierenden lernen, wie sie ihre eigene künstlerische Tätigkeit in der Musik als Mittel zum Erkenntnisgewinn nutzen können. So entwickeln sie ihre künstlerischen Fähigkeiten weiter und verbessern sie. Dabei erwerben die Studierenden auch Kompetenzen im wissenschaftlichen Arbeiten und im Präsentieren. Die Idee ist, Künstler*innen hervorzubringen, für die Forschung ein elementarer Teil ihres Profils ist.
Künstlerische Forschung wird immer wichtiger, da sie einen Beitrag zum Verständnis und zur Weiterentwicklung künstlerischer Praxis leistet. Sie ermöglicht es, neue Methoden und Ansätze zu entwickeln, die sowohl die Kunst als auch die Wissenschaft bereichern. Die Kombination aus künstlerischer und wissenschaftlicher Arbeit in unserem Masterprogramm vermittelt den Studierenden diese Fähigkeiten. Einige Studierende streben auch ein Doktorat an, einen PhD. Dafür bieten wir mit dem Masterprogramm eine wichtige Vorqualifikation an.
Doktorate werden in den Kunsthochschulen immer wichtiger. Unsere Absolvent*innen sind meist international tätig. Wenn diese beispielsweise in Spanien oder den USA oder Südamerika Positionen an Musikhochschulen oder ähnlichen Institutionen anstreben, benötigen sie zunehmend einen PhD.
Das neue Masterprogramm eröffnet eine Vielzahl denkbarer Wege. Davon ist ein möglicher Weg die Forschung, die bei unserer Ausrichtung jedoch in der Regel mit der künstlerischen Praxis verbunden bleibt. Meine Mission mit diesem Programm ist nicht zuletzt, die Praktiker*innen zu befähigen, sich in die konstruktive Auseinandersetzung um qualitative Massstäbe, Kategorien und die Zukunft unserer Branche praktisch einzuschalten. Und das trainieren sie bei uns.
Kern des Studiums ist das eigene Forschungsprojekt. Die Studierenden werden dafür durch mindestens zwei Mentor*innen betreut – jeweils aus Forschung und der künstlerischen Praxis. Hinzu kommen Kurse, die Skills in Methodik, Forschungsmanagement, Forschungskommunikation etc. vermitteln. Die meisten Lektionen finden bei uns im Seminarformat statt, das sehr praktisch angelegt ist und oft interdisziplinär stattfindet. Weiterhin spielt Peer-to-Peer-Learning eine wichtige Rolle. Wir legen sehr viel Wert auf Diskurskultur, auch über verschiedene Studiengänge hinweg.
Natürlich spielt Erkenntnisgewinn auch in der traditionellen Ausbildung permanent eine Rolle. Im Master in Spezialisierter Musikalischer Performance, Music and Research geht es jedoch darum, diesen Erkenntnisgewinn und die damit verbundenen Prozesse zu systematisieren und daraus konkrete Forschungsfragen abzuleiten. Am Ende einer solche Forschungsarbeit steht ein Wissenszuwachs, der durch die eigene Kunstpraxis, sei es Instrumentalspiel, Gesang oder Komposition, erzielt wird. Die dabei gewonnen Erkenntnisse können sowohl die eigene künstlerische Arbeit voranbringen als auch dem gesamten Praxisfeld neue Impulse geben. Das kann ein Nachdenken darüber sein, wie man Kompositionen anders aufführt als es bisher geschieht. Oder es werden klangliche Phänomene untersucht, die man bisher nicht versteht, um sie dann gezielt erzeugen und einsetzen zu können.
Künstlerische Forschung ist fast immer ein interdisziplinäres Unternehmen. Dafür braucht es Schnittstellen zu anderen Fächern. So arbeiten wir eng mit den anderen Hochschulen der FHNW zusammen, beispielsweise mit der Hochschule für Technik. Unsere Studierenden erwerben dann Know-how anderer Disziplinen, wenn dies für ein Forschungsprojekt nötig ist.
Ein gutes Beispiel ist das Verständnis von physikalischen Phänomenen. Die Physik durchdringt sehr viele Bereiche in der Musik. Doch es geht nicht darum, dass unsere Studierenden plötzlich Physiker*innen werden und Berechnungen selbst anstellen können, sondern sie müssen das Phänomen einfach gut genug verstehen, um etwa ein Instrument bauen oder bestimmte Phänomene als künstlerische Elemente gezielt einsetzen zu können.
Ich nenne zwei Beispiele. Ein Student, der Organist und Komponist ist, beschäftigt sich mit einer experimentellen Orgel, bei der man die Luftzufuhr regulieren kann. Normalerweise hat jede Orgelpfeife einen fixen Luftdruck und erzeugt dadurch eine bestimmte Tonhöhe. An dieser experimentellen Orgel kann man den Luftdruck variieren und somit unterschiedliche Töne pro Pfeife erzeugen. Der Student erforscht, wie man Stücke für eine solche Orgel schreiben und diese auf andere Orgeln übertragen kann. Es geht darum, die Orgel anders zu verwenden und neue Tonsysteme zu nutzen.
Ein anderer Student ist Komponist. Er untersucht, wie man andere Formen von Kompositionen oder neue Formate schaffen kann als die, die es bisher schon gibt.
Der gemeinsame Nenner ist immer, dass künstlerische Praxis und Forschungsaspekt zusammenkommen. Am Ende werden die Ergebnisse sowohl in einem künstlerischen Rahmen präsentiert als auch als Masterarbeit eingereicht. Diese Ergebnisse sollen nicht nur dem eigenen Interesse dienen, sondern einen Mehrwert für die Gemeinschaft haben.