Wärmedämmung aus der Vogelperspektive
Um eine CO2-freie Energieversorgung zu erreichen, müssen Altbauten gedämmt und auf klimafreundliche Heizungen umgerüstet werden. Doch wo soll man anfangen und wo ist die Investition am sinnvollsten? Forschende des Kooperationsprojekts ThermoPlaner3D haben eine Methode entwickelt, um grossflächig und detailliert Wärmeverluste von Gebäuden zu erfassen. Das Verfahren ermöglicht es, effizient die energetische Situation der Liegenschaften ganzer Gemeinden oder Stadtviertel zu beurteilen. Susanne Bleisch von der Hochschule für Architektur, Bau und Geomatik FHNW leitet das Projekt zusammen mit dem Berner Unternehmen Considerate AG.
Wir Menschen können Wärme fühlen, aber nicht sehen. Doch mithilfe der Technik erkennen wir, was unserem blossen Auge verborgen bleibt. So messen Thermografiekameras die Infrarotstrahlung, die von Gebäuden oder von anderen Objekten ausgeht. Je stärker diese Strahlung an einem Punkt ist, umso wärmer ist es dort. Die Kamera ordnet jeder Temperatur eine Farbe zu, wodurch bunte Falschfarbenbilder entstehen. Wenn diese Bilder nachts und somit ohne Sonneneinstrahlung aufgenommen werden, zeigen sie, an welchen Stellen ein Gebäude besonders viel Wärme abstrahlt und wertvolle Heizenergie verloren geht. Sie können bei der Planung und Kontrolle energetischer Sanierungen nützlich sein.
Zwei Blickwinkel beim Überflug
Im Projekt ThermoPlaner3D entwickeln Forschende der Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW in Zusammenarbeit mit der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW sowie den Unternehmen Considerate AG und BSF Swissphoto AG die Thermografie buchstäblich zu einer «Überflieger-Technologie» weiter: Vom Flugzeug aus erfassen Kameras Wärmebilder von Gebäuden aus unterschiedlichen Perspektiven. Diese innovative Idee entstand aus der Zusammenarbeit aller Projektpartner. Geomatikingenieurin Susanne Bleisch erklärt: «Mit diesem System werden die Gebäude während eines Fluges sowohl senkrecht von oben als auch mit schräg eingebauten Wärmebildkameras aufgenommen. Dadurch erfassen wir nicht nur die Wärmeabstrahlung der Dächer, sondern auch die der Fassaden.»
Notwendige Korrekturen der Wärmebilder
Als nächstes müssen die von den Kameras gemessenen Temperaturen auf bestimmte mikroklimatische Einflüsse hin berichtigt werden. Ein grüner Spielplatz mit zahlreichen Bäumen kann beispielsweise die Fassaden umliegender Mehrfamilienhäuser kühlen. Anders ist es bei einer grossen Strassenkreuzung: Sie erwärmt die umliegenden Gebäude. Die gemessenen Fassadentemperaturen sind also nicht allein auf die Wärmedämmung zurückzuführen. Zudem erschweren die mikroklimatischen Einflüsse den Vergleich von Gebäuden in verschiedenen Stadtgebieten.
Um diese mikroklimatischen Einflüsse zu überprüfen, misst das Projektteam während eines Überfluges in der Projektphase gleichzeitig die Temperaturen an verschiedenen Stellen auf den Strassen. Die Forschenden gehen davon aus, dass die im Strassennetz gemessenen Temperaturunterschiede durch lokale Wärme- oder Kälteinseln zwischen den Häusern entstehen. Dementsprechend korrigieren sie die aus der Luft erhaltenen Wärmebilder. Wenn das Auswerteverfahren für diese Bilder einmal fertiggestellt ist, braucht es am Boden keine Kontrollmessungen mehr.
Neben den Temperaturunterschieden spielen auch die Ausrichtung, klimatische Umgebungsbedingungen und das Material der Dächer und Fassaden eine Rolle. So speichern die Süd- und Westfassaden nach einem sonnigen Tag Wärme. Diese beeinflusst die Thermografie-Bilder, die bei den nächtlichen Flügen aufgenommen werden. Metallische Oberflächen reflektieren einen Grossteil der Infrarotstrahlung in ihrer Umgebung, während Ziegel hauptsächlich jene Infrarotstrahlung abgeben, welche ihrer eigenen Temperatur entspricht. All diese Faktoren müssen bei den verschiedenen Berechnungen für die finalen Wärmebilder und Auswertungen berücksichtigt werden.
Energieversorger und Hausbesitzer*innen profitieren
Mit dem von Innosuisse geförderten Projekt ThermoPlaner3D sollen der energetische Zustand und das Sanierungspotenzial aller Gebäude in einem Untersuchungsgebiet umfassend und möglichst genau eingeschätzt werden. Diese Informationen sind sowohl für Energieversorgungsunternehmen als auch für Liegenschaftsbesitzer*innen von grosser Bedeutung. «Die gewonnenen Erkenntnisse können Energieversorgungsunternehmen helfen festzustellen, wo der Ausbau von Fernwärmenetzen besonders sinnvoll und rentabel ist», erklärt Bleisch. Ebenso können die Informationen aufzeigen, wo sich Wärme-Contracting-Angebote lohnen würden. Bei diesen Angeboten der Energieversorgungsunternehmen werden deren Investitionskosten in neue Heizungen über monatliche Pauschalen verrechnet. Liegenschaftsbesitzer*innen erhalten durch das Projekt zudem wichtige Informationen darüber, ob die Gebäudehülle ihrer Häuser sanierungsbedürftig ist und wie viel Energie sie durch mögliche Sanierungsmassnahmen einsparen könnten.
Motivation für energetische Sanierungen
«Wir haben nicht den Anspruch, dass Immobilienbesitzer*innen allein auf Grundlage der Wärmebilder und deren Auswertung entscheiden, ob sie für mehrere zehntausend oder hunderttausend Franken ihr Gebäude sanieren lassen», betont Bleisch. «Es geht vielmehr darum, Interesse für das Thema zu wecken und ins Gespräch zu kommen.» Die Forscherin verweist auf Angaben des kanadischen Unternehmens MyHEAT, das schon seit einigen Jahren Wärmeluftbilder von Dachlandschaften anfertigt. Kanadische Studien auf der Basis von MyHEAT haben gezeigt, dass Liegenschaftsbesitzer*innen mehr als das Doppelte in Energieeffizienzmassnahmen investieren, wenn sie den Wärmeverlust ihrer Immobilie mit Hilfe von Wärmebildern sehen und vergleichen können.
Auf dem Weg zum Start-up?
Die Thermoplaner3D-Projektpartner möchten ihre Methode so weit entwickeln, dass ein Start-up oder ein bestehendes Unternehmen darauf aufbauen kann. Das würde die Wärmewende vorantreiben, die entscheidend für den Erfolg der Energiewende ist. Denn rund die Hälfte des Energieverbrauchs in der Schweiz entfällt auf das Heizen oder Kühlen – mit Energie, die grösstenteils aus fossilen Quellen stammt.