Antibiotika gelangen stark verdünnt in Kläranlagen. Ihre Konzentration ist zu gering, um Bakterien zu schaden. Die Bakterien stellen sich auf sie ein und können Resistenzen entwickeln. (Bild: istock.com/antikainen)
26. März 2019

Die Superresistenz aus dem Klärschlamm

Antibiotikaresistente Bakterien sind eine der grössten Herausforderungen der Medizin. Und das Problem ist gravierender als gedacht: Forschende der Hochschule für Life Sciences FHNW haben entdeckt, dass sich manche Bakterien sogar von Antibiotika ernähren.

Wenn Philippe Corvini durchs Mikroskop schaut, beobachtet er einen Kampf der Mikroorganismen, der uns alle angeht. Der Umweltbiotechnologe leitet das Institut für Ecopreneurship der Hochschule für Life Sciences FHNW. Und er ist besorgt. Denn er hat herausgefunden, dass sich Bakterien aus Kläranlagen von Antibiotika ernähren.

Als die ersten Antibiotika zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelt wurden, meinte man, eine sichere Waffe gegen krank machende Bakterien gefunden zu haben. Doch diese Waffe ist immer häufiger wirkungslos. Immer mehr Bakterien entwickeln Multiresistenzen gegen verschiedene Antibiotika. 

Als wäre das nicht schon alarmierend genug, hat Philippe Corvini mit seinem Team herausgefunden, dass ein Bakterienstamm – sogenannte Mikrobakterien – nicht nur resistent gegen das Antibiotikum Sulfamethoxazol ist, sondern es sogar verstoffwechselt: Die Waffe ist zur Nahrungsquelle geworden.

Die Bakterien gewinnen somit Energie, können sich vermehren und die Resistenz dabei weitergeben. Das betroffene Antibiotikum Sulfamethoxazol gehört zur Familie der Sulfonamide, mit denen bereits seit den 1930er-Jahren bakterielle Erkrankungen behandelt werden.

Kläranlagen ideal für die Bildung von Antibiotikaresistenzen

Die Superresistenz gegen Sulfamethoxazol hat der Umweltbiotechnologe bereits 2012 bei der Untersuchung von Klärschlamm aus Schweizer und deutschen Kläranlagen entdeckt. Da der Mensch das Antibiotikum zum grossen Teil wieder ausscheidet, landet es in den Kläranlagen – und von dort in Flüssen und Seen.

Das Problem: Die Antibiotika-Ausscheidungen sind in den Kläranlagen stark verdünnt. Ihre Konzentration ist zu gering, um Bakterien zu schaden, doch da sie vorhanden sind, können sich die Bakterien auf sie einstellen. Deshalb entwickeln sich Antibiotikaresistenzen in Kläranlagen besonders gut.

2017 hat Corvini publiziert, welche Gene und Enzyme das Mikrobakterium nutzt, um Sulfamethoxazol zu verstoffwechseln. Ein Durchbruch. Seitdem konnte gezielter erforscht werden, ob sich noch mehr Bakterienstämme von diesem Antibiotikum ernähren können. Die für die Superresistenz verantwortlichen Gensequenzen sind laut dem Umweltbiotechnologen zwischen verschiedenen Bakterienstämmen übertragbar.

«Bisher konnte man als wichtigste Bakterien neben dem Mikrobakterium Arthrobacter und Leucobacter identifizieren, die sich von Sulfamethoxazol ernähren können. Zudem wurde bereits beobachtet, dass auch andere Sulfonamide von Bakterien verstoffwechselt werden», erläutert Philippe Corvini. Und nicht nur das: «Zurzeit forschen wir am Antibiotikum Erythromycin, das zu den Makrolid-Antibiotika gehört. Momentan wissen wir, dass es Bakterien gibt, die in der Lage sind, Erythromycin zumindest teilweise zu verstoffwechseln.» 

«Die Erkenntnisse sind besorgniserregend.»
Prof. Dr. Philippe Corvini, Hochschule für Life Sciences FHNW

Auch in der Landwirtschaft

Die Superresistenz gegenüber Sulfamethoxazol entwickelt sich jedoch nicht nur in Kläranlagen, wie der Umweltbiotechnologe nachweisen konnte. «Wir haben das auch in landwirtschaftlichen Böden in China beobachtet, die über Jahre mit Gülle gedüngt wurden», sagt er. Er glaubt, dass man diese Superresistenz weltweit in Böden finden kann. Denn: «Solche Beobachtungen wurden ebenfalls in Deutschland und Kanada gemacht.» Da Sulfonamide auch zur Behandlung von Tieren eingesetzt werden, gelangt das Antibiotikum mit der Gülle aufs Feld.

Philippe Corvini vermutet zudem, dass die Bakterien die Superresistenz im menschlichen Körper entwickeln könnten. Sulfamethoxazol wird zum Beispiel bei Harnwegsinfekten verschrieben, die auch durch das Mikrobakterium verursacht werden können. «Wir haben herausgefunden, dass sich das Mikrobakterium in künstlichem Urin mit diesem Antibiotikum ebenso schnell vermehrt wie ohne das Antibiotikum», sagt Philippe Corvini und fügt hinzu: «All diese Erkenntnisse sind besorgniserregend.»

Der Forscher hat eine einfache Methode entwickelt, das Antibiotikum für die Bakterien unverwertbar zu machen. Das Antibiotikum-Molekül muss an einer Stelle verändert werden, die für den Wirkstoff nicht einmal relevant ist. «Wir haben das bei uns im Labor getan», sagt Philippe Corvini. Er hält die Methode weder für aufwendig noch für teuer. Dennoch glaubt er nicht, dass die Hersteller das Molekül ändern werden: «Die pharmazeutische Industrie hat kein grosses Interesse, neue Antibiotika zu produzieren. Das ist nicht lukrativ genug.»

Trotz aller Besorgnis: Könnte die Entdeckung nicht auch positive Folgen haben? Die Bakterien verstoffwechseln das Antibiotikum, entfernen es also aus Böden und Gewässern. Könnte diese Erkenntnis nicht genutzt werden, um Böden und Gewässer sauber zu halten? «Die Bakterien können wir dazu nicht nutzen, weil sie auch Antibiotikaresistenzgene tragen. Die wollen wir auf keinen Fall verbreiten», erklärt Philippe Corvini. «Man müsste also die Gene isolieren und die Enzyme in grossem Massstab produzieren. Doch gerade diese Enzyme sind sehr empfindlich und brauchen hochwertige und teure ergänzende Stoffe, um ihre Reaktionen durchzuführen. Das ist nicht umsetzbar.»

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