Über die Tablet- oder Handykamera wird der Stadtplan auf dem Bildschirm dargestellt. In der App lassen sich unterschiedlichste Informationen wie z.B. Velorouten oder das ÖV-Netz mit einem Klick anzeigen. (Bild: Scitec-Media)
26. März 2019

Wie ein Stadtplan zum Leben erwacht

Der Basler Stadtplan ist so spannend wie nie zuvor: An der Hochschule für Architektur, Bau und Geomatik FHNW ist eine Augmented-Reality-App entstanden, die den Stadtplan aus Papier ins 21. Jahrhundert katapultiert.

«Stadtpläne sollen wieder Spass machen», sagt Martin Christen. Der Professor für Geoinformatik und Computergrafik zeigt auf den Basler Stadtplan, der im Papierformat auf dem Tisch vor ihm liegt – und dessen Spassfaktor auf den ersten Blick tatsächlich nicht besonders hoch erscheint. Dann nimmt sein wissenschaftlicher Assistent Urs Clement das Tablet zur Hand und öffnet die App mit dem Namen «Basel Augmented Reality». Augmented Reality steht für erweiterte Realität, genauer gesagt: die computergestützte Erweiterung der Realitätswahrnehmung.

«Unser Ziel war es, den Stadtplan lebendig zu machen», sagt Martin Christen. Auf seinem Handy und dem Tablet seines Mitarbeiters ist sofort zu sehen, was das bedeutet. Der Masterstudent Urs Clement hält das Tablet über den Stadtplan. Die Kamera zeigt ihm die Karte, die vor ihm liegt, auf dem Bildschirm an. Nun wählt er in der App den Menüpunkt «Velorouten». Und schon erscheinen auf dem Bildschirm blaue Linien, die das gesamte Velonetz der Stadt Basel auf der Papierkarte anzeigen. Ein weiterer Klick genügt, und auch das ÖV-Netz ist zu sehen. Noch ein Klick – schon erscheint ein 3-D-Modell der Stadt. Und wenig später überlagert eine historische Ansicht des Stadtplans das Bild. 

App als Lerntool

Ein Jahr hat Martin Christens Assistent Urs Clement gebraucht, um die App fertigzustellen, allein und im Rahmen seiner 50-Prozent-Stelle. Der Kanton Basel-Stadt hatte bei Martin Christen angefragt, ob es möglich sei, der Karte neues Leben einzuhauchen. Jede Schülerin, jeder Schüler des Kantons ist im Besitz dieses Stadtplans. Doch für die Jugend des 21. Jahrhunderts ist ein reiner Papierstadtplan nicht mehr zeitgemäss. «Wir sollten vor allem eine Ausbildungsapp erstellen, ein Lerntool für Schülerinnen und Schüler, mit dem sie sehen können, welche Geodaten es eigentlich gibt», erklärt Martin Christen.

Urs Clement, Masterstudent und Mitarbeiter an der Hochschule für Architektur, Bau und Geomatik FHNW, hat die App umgesetzt. (Bild: Scitec-Media)

Kein Problem für den Geoinformatiker und sein Team. «Wir haben schon über zehn Augmented-Reality-Apps realisiert, in denen es darum geht, Geodaten zu visualisieren», sagt Martin Christen. Dass die Stadt Basel mit einem solchen Projekt auf die FHNW zukommt und nicht auf ein Unternehmen, liegt laut Martin Christen daran, dass es noch nicht viele Start-ups oder andere Unternehmen in der Region gibt, die sich mit der Visualisierung von Geodaten im Bereich Augmented Reality befassen. «Wir fragen uns: Wie kann man Geodaten effizient darstellen? Und das ist im Moment noch eine Forschungsfrage», sagt er. 

Martin Christen mag bereits viel Erfahrung mit dem Thema haben, für seinen wissenschaftlichen Mitarbeiter Urs Clement, der das Projekt umgesetzt hat, war es aber eine Premiere. «Ich habe das noch nie zuvor gemacht», sagt er. Die Daten wie etwa die Velorouten der Stadt Basel, die historischen Karten oder auch die Müllabfuhrzonen, die in der App auf die Karte gelegt werden, wurden ihm vom Kanton zur Verfügung gestellt.

«So eine App ist nie fertig»

Doch wer glaubt, seine Aufgabe wäre damit erledigt gewesen, die Daten in die App zu kopieren, liegt falsch. Jede Linie, jeden Punkt musste er so aufbereiten, dass die Anzeige in der erweiterten Realität funktioniert. «Das Schwierigste war wahrscheinlich, das 3-D-Modell der Stadt Basel für diese Anwendung anzupassen», sagt Urs Clement. «Hätte ich die Daten einfach so in die App übertragen, dann würden einige Gebäude beim Augmentieren auf den Stadtplan in der Luft schweben.» Denn: Der Stadtplan aus Papier ist flach, kennt keine Erhebungen oder Senken. In der Realität ist Basel aber voll davon. Deshalb liegen manche Gebäude höher als andere. Die tatsächliche Oberfläche der Stadt zusätzlich zum 3-D-Modell ebenfalls auf die Karte zu augmentieren, war laut Urs Clement nicht möglich: «Der Stadtplan ist dafür nicht geeignet. Die Ansicht mit dem natürlichen Terrain wäre auf der flachen Karte verschoben und höhenverzogen gewesen.» Also musste der Masterstudent alle Gebäude auf eine Ebene bringen. «Natürlich hat das auch mal zu Frust geführt», gibt er zu. Aber das Durchhaltevermögen hat sich gelohnt.

Nicht nur die Stadt Basel hat von der Zusammenarbeit mit den Wissenschaftlern profitiert. Auch für Martin Christen und seine Mitarbeitenden ist die App eine wichtige Grundlage für weitere Projekte. «Diese App ist für uns eher eine Spielerei, aber es ergeben sich daraus neue Möglichkeiten», sagt Martin Christen. «Wir entwickeln im Moment für die Industriellen Werke Basel und die Kantone Basel-Stadt und Basel-Landschaft eine Augmented-Reality-App, mit der man Gas- und andere Leitungen in der Stadt visualisieren kann. Für die Positionierung verwenden wir auch Daten aus der App, die Urs Clement aufbereitet hat.»

Abgeschlossen ist die Arbeit für den Masterstudenten übrigens nicht. Als Nächstes steht an, die App in den Basler Schulen bekannt zu machen, Lehrpersonen und Schülerinnen und Schüler für die Erweiterung der Realität zu begeistern. Zudem sollen nach und nach weitere Geodaten für die Nutzenden zur Auswahl stehen. «Eins habe ich bei dieser Arbeit gelernt», sagt Urs Clement: «So eine App ist nie fertig.»

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