
Dreht sich die Mode der Zukunft im Kreis?
Wie kann die Textilindustrie nachhaltiger werden? Dieser Frage widmen sich Forschende der Hochschule für Gestaltung und Kunst Basel FHNW. In der Berner Innenstadt testen sie innovative Ideen, um Kleidung länger im Umlauf zu halten und so die Umwelt zu entlasten.
Stellen Sie sich vor, dass ein repariertes Kleidungstück künftig mehr kostet als ein neues ab Produktion. Was heute noch sehr utopisch klingt, könnte der Schlüssel sein, um die Textilindustrie kreislauffähig und somit nachhaltig zu machen. Neue Ansätze sind dringend erforderlich, denn jedes Jahr werden Millionen von Kleidungsstücken zurückgeschickt, landen in der Tonne oder werden ins Ausland verschifft, wo sie unter fragwürdigen Bedingungen entsorgt werden. Allein in der Schweiz gelangen rund 50 000 Tonnen Kleidung jährlich in die Sammelcontainer. Mode und Bekleidung sind heute sehr schnelllebig und belasten die Umwelt.

Die Designerin Evelyne Roth und die Soziologin Angela Grosso Ciponte vom Institut Contemporary Design Practices HGK Basel FHNW erforschen deshalb, wie der Wert von Kleidungsstücken gesteigert werden kann, damit diese zur Ressource werden statt zum Wegwerfprodukt. Dafür entwickeln die zwei Forscherinnen gemeinsam mit Wirtschaftspartner*innen ein kreislauffähiges Modell an Dienstleistungen, welches die Lebensdauer der Kleidung verlängert. Das Forschungsprojekt «Design Interventions for a Circular Retail Model» wird vom Innobooster Fashion & Lifestyle – einem Förderinstrument von Innosuisse – und der Innovationsagentur Dagora unterstützt.

Verglichen mit unserem bisherigen System gibt es einen zentralen Unterschied: Die klassischen Konsument*innen fallen weg. Grosso Ciponte erklärt: «Heute haben wir ein lineares Modell, bei dem jemand produziert, jemand die Kleidung benutzt und dann wird sie weggeworfen. Wenn hingegen ein Kleidungsstück zur Reparatur oder Auffrischung gebracht wird, statt im Textilcontainer zu enden, tritt es wieder in den Kreislauf ein. So wird der Bedarf an neuen Textilien reduziert und der bestehende Berg an fortgeworfener Kleidung schrumpft.»
Neue Vorschriften als Triebfeder
Das Bedürfnis nach mehr Nachhaltigkeit spiegelt sich auch in den neuen EU-Gesetzgebungen wider, die im Januar 2025 in Kraft traten. Sie erlauben nur noch rezyklierbare und langlebige Materialien und verbieten das Verbrennen und Vernichten von Textilien. «Die neuen Vorschriften haben einen merklichen Schub für die Forschung an nachhaltigen Zukunftsmodellen ausgelöst», sagt Grosso Ciponte. «Uns an der FHNW interessiert hierbei insbesondere der Dienstleistungsaspekt, also wie lassen sich Altkleider pflegen, flicken, auffrischen und zurücknehmen – also care, repair, refurbish, return. Das sind alles Serviceleistungen.» Für Grosso Ciponte und Roth war klar: «Die Lösung dafür müssen wir im Einzelhandel suchen.»

Schon 2024 hatten die Forscherinnen getestet, wie so ein Projekt aussehen kann. «Unsere Master-Studierenden haben echte Retouren der Mammut Sports Group AG verarbeitet, von der Skijacke bis zur Sporthose, und Ideen entwickelt, was daraus werden kann. Wir wollten zum Beispiel wissen, wo macht eine Reparatur Sinn, oder wie könnten wir mit Designintervention auch Reparaturen im grossen Stil anbieten?», berichtet Roth.

Forschungslabor in der Berner Marktgasse
Reparaturen sind derzeit noch ein grosses Verlustgeschäft. Die Lohnkosten sind hoch, sodass es sich viele Kunden zweimal überlegen, ob sie in ihr altes Kleidungsstück investieren oder nicht lieber etwas Neues kaufen. «Das muss sich ändern», findet Roth. Begeistert erzählt sie von einigen Ideen: «Was wäre, wenn das reparierte Kleidungsstück durch Designanpassungen moderner und spannender aussieht als das alte? Oder wenn es nach der Reparatur in neuem Design weiterverkauft wird, falls es die ursprünglichen Besitzer*innen nicht mehr möchten? Doch wie ist es dann mit dem Copyright?» Diese und weitere Fragen wollen die Forschenden in den nächsten Monaten gemeinsam mit ihren Projektpartnern an einem neu gestalteten Ort in Bern angehen: in einer Geschäfts-, Gastro- und Eventgalerie in der Marktgasse. Dort soll ab Frühling 2026 mit echter Kundschaft getestet werden, was funktioniert und was eben nicht. «Es wird ein ganz besonderes Forschungslabor», freut sich Roth. «Ein solches Konzept ist einzigartig!»
Die Erfahrungen aus diesem Projekt sollen aber nicht in der Berner Marktgasse verbleiben. Denn ein kreislauffähiges Modell muss für alle Gesellschaftsschichten tragbar sein, damit es langfristig bestehen kann.
Die Fotografien entstanden im Rahmen eines Kooperationsprojekts zwischen dem Masterstudio des ICDP HGK Basel FHNW und der Mammut Sports Group AG im Herbstsemester 2022/23. Das Kooperationsprojekt untersuchte Retouren und die daran anschliessenden Arbeitsprozesse bei der Mammut Sports Group AG. Ziel war es, Lücken im zirkulären praktischen Handeln aufzudecken. Die Studierenden erarbeiteten dabei massgeschneiderte Konzepte für die Firma. Sie starteten zunächst mit dem Auspacken der Retouren, analysierten diese und ordneten sie bestimmten Gruppen zu, beispielsweise nach ihrem Potenzial für zirkuläre Massnahmen. Sie gingen nach der Methode des Mapping vor. Die Drohnenaufnahmen zeigen den Prozess des Auspackens.
«Zero Emission» – eines von drei Zukunftsfeldern der FHNW
Im Rahmen ihrer Strategie FHNW 2035 wird die FHNW in den drei Zukunftsfeldern Zero Emission, New Work und Future Health ihre multidisziplinären Kompetenzen in den kommenden Jahren bündeln und ausbauen. Damit möchte sie in den gesellschaftlich relevanten Themenfeldern Arbeit, Gesundheit und Umwelt/Nachhaltigkeit neue Impulse für Lösungen zu aktuellen Problemfeldern der Wirtschaft und Gesellschaft geben.