Patrick Grubert aus Deutschland, Matthias Dönni aus der Schweiz und Tim Tewes aus Belgien absolvieren ihr Studium in drei Ländern. (v.l.n.r., Foto: Johanna Bossart)
11. Juli 2017

Drei Länder, drei Kulturen, ein Studium

Das Bachelor-Studium in Mechatronik ist eine Kooperation zwischen drei Hochschulen in drei Ländern – und für die Absolvierenden eine interkulturelle Erfahrung.

Was heisst schon wieder «Betriebssystem» auf Französisch? Solche Fachbegriffe – in diesem Fall «système d’exploitation» – müssen sich Studierende des Bachelor-Studiengangs Mechatronik trinational ziemlich schnell aneignen. Denn die Ausbildung, die es seit zwanzig Jahren gibt, findet semesterweise an verschiedenen Hochschulen in drei Ländern statt: an der FHNW in Muttenz, der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Lörrach sowie der Université de Haute-Alsace in Mulhouse. Zweisprachigkeit ist also Voraussetzung. «Der Studiengang ist einzigartig», sagt dessen Leiter Robert Alard von der Hochschule für Technik FHNW. «Und er befähigt angehende Mechatroniker und Mechatronikerinnen, mit verschiedenen Sprachen und Kulturen klarzukommen.» Zudem vermittle das Studium technische Kompetenzen auf höchstem Niveau. Es vereint die Disziplinen Maschinenbau, Informationstechnik und Elektrotechnik.

Die Initiative für die Zusammenarbeit zwischen den Hochschulen ging ursprünglich von der Firma Endress+Hauser aus. Der Konzern mit Hauptsitz in Reinach und Niederlassungen auf allen Kontinenten stellt Messgeräte für industrielle Prozesse her. «Es kam in unseren Produktions- und Vertriebsstätten zu Missverständnissen, obwohl die Mitarbeitenden aus der gleichen Region stammten», erklärt der damalige Frankreich-Präsident von Endress+Hauser, Urs Endress. «Uns wurde klar, dass wir interkulturell gewandte Mitarbeitende brauchen, die mit Differenzen umgehen können und Verschiedenheit als Chance verstehen.» Mit der fortschreitenden Globalisierung werde dies immer wichtiger.

Je mehr sich die Geschäftstätigkeiten industrieller Betriebe in weit entfernten Ländern abwickeln, desto bedeutender werden aber auch Englischkenntnisse. Deshalb findet der Unterricht im trinationalen Bachelorstudiengang in einzelnen Fächern auf Englisch statt. Ein Pluspunkt des Studiengangs sei zudem der grosse Bezug zur Praxis, hebt Robert Alard hervor. Studierende verbringen insgesamt fast ein Jahr bei Industriepartnern.

Ziel sei, die 36 Studienplätze möglichst gleichmässig mit Studierenden aus Frankreich, Deutschland und der Schweiz zu besetzen, sagt der gelernte Maschinenbauingenieur mit beruflichen Erfahrungen in allen drei Ländern. Doch dies gelinge nicht immer. In Frankreich gebe es stets sehr viele Bewerbungen, sagt Alard. Hingegen müsse man in Deutschland und der Schweiz die jungen Technikerinnen und Techniker auch ein wenig mit Vorzügen ködern, die nicht direkt das Studium betreffen: zum Beispiel mit der feinen französischen Küche. Und trotz aller Bemühungen sei die Mechatronik bei Frauen wenig beliebt, bedauert er. Bei den wenigen weiblichen Studierenden handelt es sich meist um Französinnen. «Das ist schade, denn die Berufschancen unserer Absolvierenden sind bestens», betont der Studiengang­leiter. Die Firmen seien sehr interessiert, Studierende in der Praxisphase einzustellen, mit ihnen Diplomarbeiten zu realisieren und sie nach dem Abschluss zu übernehmen.



Wie studiert es sich trinational?

Interview mit drei Studenten

Ihr habt euch für einen fachlich anspruchsvollen Studiengang entschieden, der auch noch Zweisprachigkeit verlangt. Warum?

Tim Tewes*: Genau wegen dieser interkulturellen Ausrichtung bin ich hier. Ich bin in Brüssel aufgewachsen, wo es normal ist, laufend zwischen Deutsch und Französisch zu switchen. Ich finde das anregend und interessant. Und ich bin sicher, dass mir diese Ausbildung Türen öffnen wird. Wir erhalten am Schluss in jedem Land ein Diplom. Das ist extrem attraktiv.

Matthias Dönni*: Es ist ein grosser Vorteil, wenn man sich mit seinen Arbeitskollegen fliessend in ihrer Sprache unterhalten kann. Ich habe in der Schule Französisch gelernt, musste dann aber im Militär feststellen, dass ich mich mit den Kollegen aus dem Welschland nur lückenhaft verständigen konnte. Ich habe mich in einem Kurs auf das Studium vorbereitet.

Patrick Grubert*: Am Anfang war es schon eine Herausforderung, sich all die technischen Begriffe auf Französisch anzueignen. Doch man lernt schnell.

Welche kulturellen Unterschiede bekommt ihr an den drei verschiedenen Hochschulen zu spüren?

Matthias Dönni: In Frankreich erteilen die Professoren vorwiegend Frontalunterricht, man schreibt mit und erarbeitet sich vieles selber. Die Dozierenden benehmen sich wie kleine Könige. Zwischenfragen sind nicht sonderlich erwünscht. Das war gewöhnungsbedürftig.

Tim Tewes: In der Schweiz erwarten die Dozentinnen und Dozenten, dass wir uns am Unterricht beteiligen und auch kritische Fragen stellen. Diesen Stil bin ich mich von der Schulzeit in Deutschland her eher gewohnt.

Patrick Grubert: Aber im vierten Semester, das dann wieder in Mulhouse stattfand, begegneten uns die Professoren schon ziemlich auf Augenhöhe. Dass man mit solchen Differenzen umzugehen lernt, ist es ja genau, was dieses Studium ausmacht. Im sechsten Semester unternahmen wir sogar eine Exkursion nach China, wo wir Firmen besichtigten und Vorlesungen an der Universität besuchten. Dort sind die kulturellen Unterschiede noch viel grösser.

Was bedeutet es für euch organisatorisch, an drei verschiedenen Hochschulen zu studieren?

Tim Tewes: Ich wohne in Lörrach und habe seit Kurzem ein Auto. So bin ich in zwanzig Minuten in Muttenz und in einer halben Stunde in Mulhouse. Es gibt Leute, die mit dem Fahrrad und öffentlichen Verkehrsmitteln pendeln. Das ist aber aufwendiger. Einfach ist die Organisation nicht. Man muss flexibel sein.

Matthias Dönni: Ich bin anfangs Studium in eine WG in Lörrach gezogen und pendle zurzeit nach Muttenz. Das Leben in Deutschland ist günstiger als in der Schweiz. Wir können unkompliziert WG-Plätze austauschen, wenn wir ein neues Semester in einem anderen Land beginnen. Wegen der besonderen Situation unterstützen uns die Hochschulen mit einem Mobilitätsbeitrag.

Wie ist der Kontakt zu Studienkolleginnen und -kollegen aus den anderen Ländern?

Tim Tewes: Unsere Klasse ist super. Wir lernen und feiern zusammen. Einmal hat uns die Französischlehrerin nach Colmar eingeladen. Es gab Flammenkuchen – das war lecker. Die Stimmung ist gut, obwohl das Studium streng ist.

Habt ihr schon berufliche Zukunftspläne?

Patrick Grubert: Im Sommer beginne ich mit dem Masterstudiengang in Mechatronik. Ich kann das im Onlinemodus im deutschen Freiburg machen und meine Stelle als Laborassistent in Muttenz behalten.

Matthias Dönni: Während meiner ersten Industriephase war ich bei «Jet Aviation» in Frankreich. Dort hat mir die lockere Atmosphäre gut gefallen. Ich würde später gerne in Frankreich arbeiten. Am liebsten in der Forschung und Entwicklung von Robotiksystemen.

Tim Tewes: Ich bin bereits während des Studiums bei einer Firma angestellt, wie es üblich ist für Studierende, die sich in Lörrach einschreiben. Wir arbeiten im Bereich Energie- und Datenübertragung. Es ist sehr spannend, weshalb ich mir gut vorstellen kann, später zu bleiben. Ich glaube, dass meine Chancen gut stehen: Absolvierende des trinationalen Studiengangs sind in unserem Unternehmen sehr beliebt, weil sie überall auf der Welt klarkommen.

*Zu den Personen

Tim Tewes (18) aus Belgien hat vor dem Studium das Gymnasium besucht; der Schweizer Matthias Dönni (21) hat Technischer Zeichner gelernt und die Berufsmatur erworben. Beide studieren im 2. Semester. Patrick Grubert ist Deutscher, aber teilweise in Frankreich aufgewachsen. Er hat den Studiengang bereits 2016 abgeschlossen; zurzeit arbeitet er an der Hochschule für Technik der FHNW als Laborassistent.

Weitere trinationale Bachelor-Studiengänge

Mit ihren Standorten in der Nähe des Dreiländerecks ist es für die FHNW nur eine logische Schlussfolgerung, im Sinne einer umfassenden Ausbildung ihrer Studierenden auch über die Landesgrenzen hinauszuschauen. Neben dem Mechatronik-Bachelor bietet sie drei weitere trinationale Bachelor-Studiengänge an:

International Business Management
Die Semester des Bachelor-Studiums der Hochschule für Wirtschaft FHNW finden abwechselnd an der FHNW in Basel, der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Lörrach sowie an der Université de Haute-Alsace in Colmar statt.

Bauingenieurwesen trinational
Das Studienangebot der Hochschule für Architektur, Bau und Geomatik FHNW umfasst je zwei Semester an der FHNW in Muttenz, der Université de Strasbourg in Illkirch sowie an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Karlsruhe.

Information and Communication Systems trinational
Je ein Studienjahr wird bei diesem Studiengang an der Hochschule für Technik FHNW in Windisch, an der Hochschule Furtwangen im Schwarzwald sowie an der Université de Haute-Alsace in Mulhouse abgehalten.

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