Ein Dorf designt sich ein Hotel
Im Walliser Bergdorf Albinen bleiben die «kalten Betten» der Ferienwohnungen nicht mehr ungenutzt: Zusammen mit der lokalen Bevölkerung hat ein Team der Hochschule für Gestaltung und Kunst FHNW einen Weg gefunden, die Wohnungen zu vermieten, wenn sie gerade nicht gebraucht werden. Dazu bekommen die Gäste Service wie im Hotel – und die Albinerinnen und Albiner eine lokal verankerte Dorfhotel-Struktur.
Wer von der Terrasse einer idyllisch gelegenen Ferienwohnung direkt auf die Viertausender der Walliser Alpen blicken und die gute Bergluft hoch über dem Rhonetal einatmen möchte, ist in Albinen richtig. Der historische Dorfkern unterhalb von Leukerbad lädt mit seinen zahlreichen, urigen Häusern zum Staunen ein. Bei einem Ausflug kann man die heimischen Heilkräuter kennenlernen und auf einem Spaziergang die Natur im Ski- und Wandergebiet Torrent geniessen. Im Dorfladen lässt sich ein eigens zusammengestellter Frühstückskorb oder ein Apéro einfach und komfortabel abholen. Oder man arbeitet vor dem Ausflug ins Thermalbad noch etwas im Coworking-Space. All diese Erlebnisse bietet das Bergdorf auf der Website www.albijou.ch an – einer lokalen Vermietungsplattform von Ferienwohnungen, die in Zusammenarbeit zwischen Forschenden der Hochschule für Gestaltung und Kunst FHNW der Walliser Gemeinde Albinen entstand.
Wie viele Bergdörfer hat auch Albinen mit Abwanderung und wenig genutzten Zweitwohnungen zu kämpfen. Doch das Dorf lässt sich einiges einfallen, um lebendig und attraktiv zu bleiben. So war es vor einigen Jahren in den Schlagzeilen, weil es Zuzügerinnen und Zuzüger mit einer grosszügigen finanziellen «Starthilfe» anlockte. Nun wird mit dem Projekt ALBIJOU auch das Potenzial der «kalten Betten» in den Ferienwohnungen besser genutzt
Service wie im Hotel, aber viel persönlicher
Die Kernidee ist, private Ferienwohnungen über eine eigene, lokale Plattform zu vermieten, wenn sie gerade nicht genutzt werden. «Davon hat die Gemeinde mehr, als wenn die Vermietung über externe Plattformen läuft», erklärt Heinz Wagner, der vonseiten der FHNW an dem Projekt beteiligt war und die Wirkung von Design in nichturbanen Regionen erforscht. Aber auch für die Gäste hat die lokale Plattform Vorteile: So wurde zusätzlich zur Vermietung ein breites Angebot an weiteren Services geschaffen, die bequem gebucht werden können – wie im Hotel, nur persönlicher. Ein Concierge unterstützt Gäste bei ihren verschiedenen Anliegen, die Wohnungen werden professionell gereinigt und auch die Bett- und Frotteewäsche ganz wie im Hotel zur Verfügung gestellt. Es gibt aber auch einen Ausleihservice, wo man sich spontan einen Fussball oder ein Fondue-Rechaud leihen kann und die Möglichkeit, sich bequem vom Bahnhof abholen und direkt zur Ferienwohnung chauffieren zu lassen – Begegnungen mit der lokalen Bevölkerung inklusive. So kann man bei Bedarf sogar einfach Platz in einer Waschmaschine im Dorf bekommen, um die eigene Wäsche zu waschen.
Besonders sind auch die neu geschaffenen Angebote, wie zum Beispiel der Coworking-Space. Dieser lockt Gäste an, die Home-Office mit Alpenblick suchen, und kommt auch der Dorfbevölkerung zu Gute.
Die Designer*innen im Bergdorf
Die im Rahmen des Projekts entstandene Website verknüpft bestehende und neu geschaffene Angebote und macht sie auf visuell ansprechende Weise zugänglich. Designt wurde aber nicht nur diese Plattform, sondern das ganze Konzept. Dafür arbeiteten die Forschenden mit «Design Thinking», einem partizipativen, prozesshaften Ansatz, der Menschen vernetzt, um gemeinsam Probleme zu lösen. So konnten sich von Anfang an alle interessierten Personen aus dem Dorf einbringen. «Primär geht es um die gemeinsame Gestaltung von Lebensqualität und Beziehungen», erklärt die Designerin Valerie Notter, die das Projekt wissenschaftlich begleitet hat. Recherche und Beobachtung sind ebenso Teil dieses Prozesses wie Befragungen und Workshops. «Besonders wichtig ist, dass man schnell etwas schafft, das für die lokale Bevölkerung sichtbar ist, zum Beispiel Prototypen, die dann im Dialog laufend getestet und verbessert werden können», sagt Notter. «Sichtbarkeit ist enorm wichtig, denn sie ermöglicht den Menschen Zugang und Identifikation.»
Das schon vorhandene Potenzial nutzen
Während der Schwerpunkt der Regionalentwicklung in den letzten Jahrzehnten stark auf der Infrastruktur lag, setzt man heute immer mehr auf ‹Brain statt Beton› – versucht also, das bereits vorhandene Potenzial besser zu nutzen. So arbeiten die Designer während des Entstehungsprozesses zusammen mit den anderen Akteuren vor Ort und kombinieren Vorhandenes neu oder vermitteln zwischen den verschiedenen Perspektiven, Disziplinen und Bedürfnissen. «Die Bevölkerung soll optimal an der Belebung ihres Orts teilhaben können», so Wagner, «und das natürlich auch wirtschaftlich».
Seit Sommer 2019 läuft das Projekt nun unabhängig, organisiert als GmbH, die von Dorfbewohner*innen und Besitzer*innen von Ferienwohnungen betrieben wird. Die Pandemie hat ALBIJOU vergleichsweise gut überstanden – die Ferien im eigenen Land sind beliebter geworden. Das Team von der FHNW unterstützt derweil bereits das nächste Walliser Dorf. Dort sollen neben den Ideen der lokalen Bevölkerung auch die Erkenntnisse aus Albinen einfliessen