Quartierübersicht von der Anhöhe in Muttenz
28. März 2017

Einfamilienhaus­siedlungen sind besser als ihr Ruf

In vielen Einfamilienhaussiedlungen ist die Bevölkerung zusammen mit den Häusern gealtert. Gemeinhin wird angenommen, dass solche Siedlungen für ältere Menschen nicht mehr der ideale Wohnort seien. Ein Forschungsprojekt kann dieses Vorurteil nicht bestätigen.

Dichte Hecken schirmen die Gärten vor Blicken ab. Unauffällige Einfamilienhäuser, in den Einfahrten parkierte Autos. Da und dort ragen Baukräne in die Höhe: Am Rand des Quartiers entsteht eine neue Siedlung. Das Geräusch einer Baumaschine durchbricht die Stille des Vormittags. Die Strassen sind praktisch menschenleer. Nur einige ältere Personen oder Mütter mit Kleinkindern: ein Augenschein an einem sonnigen Februarmorgen im Muttenzer Quartier Hinterzweien.

Wie in vielen Einfamilienhausquartieren stammen die meisten Häuser hier aus den 1960er- bis 80er-Jahren. Ein Grossteil der Bewohnerinnen und Bewohner ist unterdessen im Pensionsalter, die Kinder ausgeflogen. Doch werden solche Siedlungen den Bedürfnissen älterer Menschen gerecht? Welche Infrastruktur bieten sie? Und wie fühlt es sich an, wenn rundum mehrheitlich Senioren leben? Diesen Fragen ist die Hochschule für Architektur, Bau und Geomatik FHNW gemeinsam mit der Hochschule für Soziale Arbeit FHNW nachgegangen. Im Laufe des vergangenen Jahres führten die Forschenden an zwei unterschiedlichen Orten Befragungen durch. Als Gegenstück zu Muttenz wählten sie die strukturschwache Gemeinde Günsberg oberhalb von Solothurn.

Ausrichtung auf Privatverkehr

Die meisten Einfamilienhausquartiere sind stark auf den Privatverkehr ausgerichtet. Aufgrund der Fachliteratur, die vor allem auf ausländischen Studien basiert, ging das Forscherteam davon aus, dass dies für die ältere Bevölkerung ein Problem darstellt. «In den Quartieren selber sind die Versorgungsmöglichkeiten meist rar», sagt Hannes Müller, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Hochschule für Architektur, Bau und Geomatik FHNW. Doch im Verlaufe seines Projekts hat er erkannt, dass die Annahmen aus der Literatur in der Schweiz nicht ohne Weiteres zutreffen. So gibt es zwar im Quartier Hinterzweien ausser einem Coiffeur keine Läden. Doch die Bewohner gelangen mit dem Bus, dem Velo oder zu Fuss ins nahe Dorfzentrum. Viele fühlen sich sehr verbunden mit dem historischen Dorfkern von Muttenz – oft noch mehr als mit ihrem Wohnquartier Hinterzweien selbst. Als wertvoll erachten sie zudem die nahen Grünräume und Spazierwege, wie sie den Forschenden erzählten. Angebote der Spitex machen es möglich, auch bei Gesundheitsproblemen noch lange im eigenen Heim zu bleiben, wie es sich die meisten Menschen wünschen. Schreitet die Pflegebedürftigkeit voran, stehen in Muttenz zwei Alters- und Pflegeheime zur Verfügung.

Sogar im abgelegenen Günsberg ist Altwerden bis zu einem gewissen Grad möglich. Es gibt im Dorf einen Volg, einen Coiffeur, Post und Bank sowie Spitex-Dienste. Schwierig zu bewältigen ist für ältere Menschen hingegen die starke Hangneigung. «Wenn man am Rollator geht, ist das mühsam», sagt Müller. Die Busverbindungen nach Solothurn sind zu Randzeiten rar.

Hohe Zufriedenheit

Trotzdem würden die Befragten ihr Umfeld nicht als problematisch empfinden, ergänzt Christine Matter von der Hochschule für Soziale Arbeit FHNW, welche die Interviews geführt hat – in Muttenz waren es 14, in Günsberg vier. Sie sprach mit den 65- bis 93-jährigen Einwohnerinnen und Einwohnern unter anderem darüber, wie Gefühle von Heimat und Identität entstehen. Die meisten seien sozial nicht so stark im Quartier verwurzelt, hat die Soziologin erfahren. «Man schwatzt ein wenig mit den Nachbarn, wenn man sich begegnet», sagt Matter, «aber die Beziehungen zu Kindern und Freunden ausserhalb des Quartiers sind wichtiger.» Ein Thema waren auch Veränderungen und Verdichtungen der Siedlungsstruktur. Dabei hat die Forscherin überrascht, dass die Befragten neue Überbauungen meist nicht negativ wahrnehmen – auch wenn dafür alte Bäume oder Bauernhöfe weichen mussten.

In einem nächsten Schritt wird das Forscherteam ein Instrument entwickeln, das Gemeinden dabei unterstützt, die Altersgerechtigkeit ihrer Quartiere zu überprüfen und verbessern. Dabei spielen etwa Aspekte wie die Anbindung an den öffentlichen Verkehr oder die Nähe von Läden eine Rolle. Zudem soll ein Folgeprojekt Aufschluss geben über die entsprechenden Verhältnisse in der gesamten Nordwestschweiz. Aufgrund der bereits durchgeführten Studie vermuten die Forschenden, dass die Verhältnisse in der Schweiz für ältere Personen insgesamt gut sind. Die meisten Befragten fühlen sich wohl in ihrem Umfeld, sagt Christine Matter. «Sie haben ihren Alltag gut im Griff.»

Muttenz Romy Anderegg Bild: Johanna Bossart
«Hier soll irgendwann wieder eine junge Familie leben.»
Romy Anderegg (69)

«Eigentlich bin ich bereits im Pensionsalter. Aber es macht mir immer noch Freude, zwei Tage die Woche als Coiffeuse zu arbeiten. Mein Geschäft befindet sich im Erdgeschoss meines Einfamilienhauses. Manche meiner Kundinnen kommen seit Jahrzehnten zu mir. Diese Kontakte sind mir wichtig. Denn ich lebe meist allein, mein Lebenspartner kommt nur am Wochenende.

Als ich vor 37 Jahren in dieses Quartier zog, waren die Kinder noch klein. Rundherum wohnten junge Familien und wir hatten es gut miteinander. Die Kinder spielten zusammen und man begegnete sich im Innenhof, auf den die acht Hauseingänge ausgerichtet sind. Durch die abgeschirmten Gartensitzplätze ist die Privatsphäre jeder Partie dennoch gewährleistet.

Unterdessen wohnen nur noch in drei Häusern die ursprünglichen Besitzer. In den anderen hat bereits ein Generationenwechsel stattgefunden. Das Verhältnis untereinander ist gut – sowohl mit den älteren, als auch mit den jüngeren. Wir feiern Geburtstage zusammen, teilen Freud und Leid miteinander. Wenn ich in den Ferien bin, findet sich stets jemand, der meine beiden Katzen füttert.

Dennoch habe ich vor, hier wegzuziehen, wenn ich einmal nicht mehr arbeite. Das plane ich für in etwa sechs Jahren. Ich werde mir eine altersgerechte Wohnung suchen, womöglich in einer Institution, die ein selbstbestimmtes Älterwerden ermöglicht und wo man je nach Bedarf Unterstützung erhält. In meinem Haus hätte ich Angst, zu vereinsamen, sollte ich gebrechlich werden. Und ich habe niemanden, der mich pflegen könnte, da meine Kinder weit weg wohnen. Ausserdem brauche ich längst nicht mehr so viel Platz. Ich möchte, dass hier wieder eine junge Familie leben kann.»

Günsberg Alters- und Pflegeheim Zum Park Bild: Johanna Bossart
«Manche Freunde halten uns für verrückt.»
Werner Gut (70)

«Nach meiner Pensionierung haben meine Frau und ich ein Haus an einer schönen Lage gesucht. Hier in Günsberg fühlt es sich an wie Ferien. Im Winter sind wir meist über dem Nebel und sehen direkt auf die Alpen. Ich bin schnell auf dem Balmberg, wo ich kleine Wanderungen unternehme. Mit dem Auto oder Bus ist aber auch Solothurn mit seinem grossen kulturellen Angebot gut erreichbar. Meine Frau fährt noch täglich mit dem Bus in die Stadt hinunter zum Arbeiten.
Bis vor fünf Jahren wohnten wir in Brugg, in einem städtischeren Umfeld. Im Zusammenhang mit meinem Beruf Maschinenbauingenieur habe ich schon an diversen Orten gelebt, auch im Ausland. Deshalb fühle ich mich nicht so stark an einen Wohnort gebunden. Ich bin noch sehr mobil: Ich besuche einen Englischkurs in Aarau, fliege ein Kleinflugzeug vom Flugplatz Birrfeld aus und bin oft mit dem Generalabonnement unterwegs.

Natürlich gehören wir in Günsberg nicht zu den Alteingesessenen. Dennoch sind wir nicht ganz isoliert. Wir pflegen gute nachbarschaftliche Beziehungen und haben uns mit einem Ehepaar angefreundet, das im selben Jahr zugezogen ist. Bis vor Kurzem habe ich mich zudem in der Bau- und Werkkommission engagiert. Wegen fachlicher und persönlicher Unstimmigkeiten bin ich nun zurückgetreten. Einige unserer Freunde halten uns für verrückt, weil wir im Alter noch in ein abgelegenes Dorf gezogen sind, in ein Haus mit langer Treppe. Wenn man nicht mehr gut zu Fuss ist, mag Günsberg mit seiner Hanglage tatsächlich nicht der geeignete Ort sein. Doch ich fühle mich noch sehr gesund. Sollten wir schwächer werden, können wir uns immer noch eine altersgerechte Wohnung oder eine Institution suchen. Wir sind stets offen für Neues.»

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