Die Automated Potting Machine (APM) kann programmiert werden und übernimmt bei RUAG Space das Ausschneiden der Paneele, Fräsen der Löcher und Einsetzen der neuartigen Inserts. Quelle: RUAG Space
28. März 2017

Kleine Revolution im Satellitenbau

Die Herstellung von Satelliten erfolgte bisher weitgehend in Handarbeit. Nun hat die FHNW ein neues Bauteil entwickelt, welches es möglich gemacht hat, einen wichtigen Produktionsschritt zu automatisieren. Das verkürzt die Durchlaufzeit und senkt die Herstellungskosten massiv. Dem Industriepartner RUAG ist es nicht zuletzt dadurch gelungen, einen Grossauftrag zum Bau von 900 Satelliten zu erhalten.

Auch wenn sie weit weg im Orbit kreisen, spielen Satelliten für das tägliche Leben auf der Erde doch eine grosse Rolle: Sie liefern zum Beispiel Daten für die Wettervorhersage, senden TV-Programme, machen Navigation mittels GPS möglich und verbinden Menschen per Telefon und Internet. Derzeit entsteht das grösste Netzwerk von Satelliten, das es je gegeben hat: Bis zum Jahr 2020 will ein Firmenkonsortium mit dem Namen OneWeb 900 Stück bauen und ins All schiessen. Diese werden flächendeckend auf der ganzen Welt Breitband-Internet zur Verfügung stellen. Damit sollen auch jene vier Milliarden Menschen Internetzugang erhalten, die bisher noch keinen haben, vor allem in Schwellen- und Entwicklungsländern.

Dass die Serienfertigung einer so grossen Zahl von Satelliten überhaupt möglich wird, ist einem unscheinbaren kleinen Bauteil zu verdanken, das Forschende der FHNW entwickelt haben. «Damit ist es gelungen, einen wichtigen Herstellungsschritt zu automatisieren», sagt Gregor Burkhard, Professor am Institut für Produkt- und Produktionsengineering der Hochschule für Technik FHNW.

Den Auftrag dazu erhielt die FHNW von RUAG Space, der Raumfahrtdivision des Technologiekonzerns RUAG. Dieser stellt unter anderem Trägerstrukturen für Satelliten her. Das Grundgerüst eines Satelliten ist überwiegend aus flachen Platten, sogenannten Paneelen, aufgebaut. Auf ihnen werden alle anderen Komponenten wie etwa Sensoren, Kameras oder Solarpanels zur Stromversorgung angebracht. Das geschieht mithilfe von sogenannten Inserts. Diese kleinen runden Einsätze aus Aluminium haben einen Durchmesser von einem bis zwei Zentimeter und funktionieren ähnlich wie Dübel: Sie werden in Löcher, die zuvor ins Paneel gefräst wurden, eingesetzt und mit Klebstoff fixiert. Die Inserts selbst haben in der Mitte ein Gewinde, auf das nun Bauteile des Satelliten aufgeschraubt werden können.

Austesten neuer Formen

Bisher musste man die Inserts per Hand in die Paneele einsetzen und verkleben. Ein Vorgang, der zeitaufwendig ist und dadurch hohe Kosten verursacht. Deshalb suchte der Hersteller RUAG Space nach einer Möglichkeit, den Arbeitsschritt zu automatisieren. «Es war jedoch schnell klar, dass wir das nicht aus eigener Kraft schaffen würden», sagt Ralf Usinger, Leiter der Abteilung Innovation und Industrialisierung der Produktlinie Strukturen bei RUAG Space. Deshalb holte sich die Firma Unterstützung bei den Forscherinnen und Forschern der FHNW. Diese prüften zunächst, ob sich die bisher verwendeten Inserts auch maschinell einsetzen lassen. Es zeigte sich aber, dass sie nicht für eine Automatisierung geeignet waren. «Darum haben wir vorgeschlagen, ein ganz neues Insert zu entwickeln», sagt FHNW-Dozent Burkhard.

In einem gemeinsamen, KTI-geförderten Projekt begannen die Forschenden, neue Formen zu entwerfen. Um diese zu testen, konnten sie auf einen hochschuleigenen 3-D-Drucker zurückgreifen. Damit war es möglich, jede neue Idee sofort als Kunststoffmodell im Massstab 1:1 auszudrucken. «Das hat die ganze Entwicklung extrem beschleunigt», sagt Burkhard.

Eine wichtige Anforderung an das neue Insert war, dass ein maschinell verbautes Teil genauso gut halten muss wie ein von Hand eingesetztes. Dafür muss es gut verklebt sein. «Das ist jedoch aufgrund der Bauweise der Trägerpaneele sehr anspruchsvoll», erklärt Gregor Burkhard. Um Gewicht zu sparen, besteht das Innere des Paneels aus einer bienenwabenartigen Aluminiumstruktur mit vielen luftgefüllten Hohlräumen. Damit ein Insert darin hält, muss genügend Klebstoff an die richtigen Stellen gelangen, um es fest zu verankern.

Sandwichpaneel mit Inserts als Teil einer Satellitenstruktur. Quelle: RUAG Space

Die Automatisierung gelingt

Um das zu erreichen, wurde beim manuellen Prozess zuerst das Insert in das Loch im Paneel gesetzt. Dann drückte jemand von Hand solange Klebstoff in eine kleine Öffnung auf der Oberseite des Inserts, bis dieser durch ein zweites Loch wieder austrat. So war klar, dass jeglicher Hohlraum mit Klebstoff gefüllt war. Für die Automatisierung ist dieser Vorgang aber nur sehr schlecht geeignet.

Die Lösung, auf welche die Forschenden kamen, sah schliesslich so aus: Ihr neuartiges Insert hat eine ringartige Vertiefung, in welche gleich zu Beginn Klebstoff gefüllt wird. Dann erst drückt eine Maschine das Insert in das vorgesehene Loch im Paneel. Dabei tritt durch seitliche Schlitze Klebstoff aus, der die Hohlräume des Paneels füllt und für eine feste Verankerung sorgt. Den Vorgang prüften die Forscherinnen und Forscher mithilfe einer eigens entwickelten Testapparatur, welche sie von einem spezialisierten Maschinenhersteller bauen liessen. «Damit konnten wir zeigen, dass die Automatisierung im Prinzip funktioniert», sagt Burkhard. Tests ergaben ausserdem, dass die Belastbarkeit der maschinell eingesetzten Inserts mit der von manuell eingesetzten vergleichbar ist.

Herstellung 30 Prozent günstiger

RUAG Space entschied daraufhin, für die Automatisierung ganz auf die neuen Inserts zu setzen. «Das war ein mutiger Schritt», sagt Industrial Engineer Dominik Nägeli. Er ist Miterfinder der Inserts und hat nach Abschluss des Projekts von der FHNW zur RUAG gewechselt. Dort konnte er sein Fachwissen beim Aufbau einer neuen Anlage einsetzen, der sogenannten Automated Potting Machine (APM). Diese ist seit Anfang 2016 in Betrieb. Sie übernimmt das Zuschneiden der Satellitenpaneele, fräst die Löcher und setzt die Inserts selbstständig ein. Diese befüllt ein Roboter zuvor mit Klebstoff und übergibt sie dann an die APM.

«Dadurch sparen wir sehr viel Zeit», sagt RUAG-Mitarbeiter Ralf Usinger. Statt wie zuvor etwa zehn Minuten dauert das Einsetzen eines Inserts nun nur noch eineinhalb Minuten. Wenn man bedenkt, dass ein durchschnittlicher Kommunikationssatellit etwa 10’000 Inserts hat, macht das sehr viel aus», erklärt Usinger. Auch das automatische Fräsen beschleunigt den Prozess. Insgesamt konnte das Unternehmen dadurch die Herstellungskosten für die Satellitenstrukturen um etwa 30 Prozent senken. «Dadurch sind wir konkurrenzfähiger», sagt Usinger. Dieser Vorteil hat sich bereits unmittelbar ausgewirkt: Bei der Bewerbung für den OneWeb-Auftrag zum Bau von 900 Satellitenstrukturen konnte RUAG Space seine Mitbewerber ausstechen.

«Wir waren aber die Ersten, die beweisen konnten, dass unser Verfahren funktioniert.»
Ralf Usinger

Auszeichnung für das Projekt

Andere Raumfahrtfirmen arbeiten zwar auch schon seit Jahren daran, die Fertigung von Paneelen zu automatisieren. «Wir waren aber die Ersten, die beweisen konnten, dass unser Verfahren funktioniert», so Usinger.

Über den Erfolg freut sich auch FHNW-Forscher Gregor Burkhard. Bei der Entwicklung habe einfach alles zusammengepasst: Die Projektleitung, die Mitarbeitenden, entsprechende Erfahrung aus früheren Projekten und die gute Ausstattung der FHNW mit Geräten. Dadurch sei alles sehr schnell gegangen. Bereits nach einem Jahr war das Patent für die Erfindung eingereicht. Ein Beweis für den Erfolg ist auch der Innovationspreis der Stiftung Ypsomed in Höhe von 30’000 Franken, mit dem er, Dominik Nägeli und das gesamte Team im Januar dieses Jahres ausgezeichnet wurden.

Kurzlebige Erdtrabanten

Satelliten gibt es in allen Grössen und Formen. Manche sind so gross wie ein ganzes Zimmer, andere kleiner als eine Zigarettenschachtel. Der Erdbeobachtungssatellit Sentinel-1, der mittels Radar Umweltdaten auf der Erde erhebt, wiegt über zwei Tonnen. Die Satelliten der OneWeb-Konstellation werden mit 150 Kilogramm pro Stück deutlich leichter sein. Eine einzelne Sojus-Trägerrakete kann 32 von ihnen gleichzeitig ins All befördern.
Das Gerüst eines Satelliten muss möglichst wenig wiegen, gleichzeitig aber auch extrem robust sein. Denn zum einen muss es den hohen Belastungen beim Raketenstart widerstehen. Zum anderen ist der Satellit im Weltall Extrembedingungen ausgesetzt: Die sonnenbeschienene Seite erhitzt sich auf weit über 100 Grad Celsius, während die Temperatur auf der Schattenseite mehr als 100 Grad unter den Gefrierpunkt fällt. UV- und kosmische Strahlen lassen sämtliche Materialien innerhalb kurzer Zeit altern. Die Lebensdauer der meisten Satelliten beträgt daher nur etwa zehn bis fünfzehn Jahre.

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