Durch das Experimentieren mit Licht und Schatten nähern sich die Kinder spielerisch dem Thema Zeit. Foto: Johanna Bossart
24. März 2020

Kinder für Natur und Technik begeistern

Was macht ein Magnet, wie entstehen Schatten und geraten Kugeln an einem Hang ins Rollen? Was hinter diesen Alltags-Phänomenen steckt und wie Lehrpersonen diese mit ihren Schülerinnen und Schülern experimentell erkunden – das vermittelt ein neues Weiterbildungsangebot der PH FHNW.

Ein fahler Schatten flackert unruhig hin und her, bis ihn die Taschenlampe in der Hand eines Mädchens ganz verschwinden lässt. Die Zweitklässlerin hält ihre Lichtquelle direkt über eine Holzspielfigur, deren Schatten vorher allein durch eine Kerze zustande kam. Zeit ist das Thema und heute experimentiert die Klasse von Sandra Nachtigal mit Licht und Schatten. Die Teams, bestehend aus Sieben- und Achtjährigen, sind im ganzen Klassenzimmer im Fraumatten-Schulhaus in Biel-Benken BL verteilt und zünden mit Lampen, verschieben Gegenstände, pröbeln und diskutieren. Was wie ein Spiel aussieht, ist viel mehr als das. «Das Ziel ist der Erkenntnisgewinn», sagt Nachtigal. «Die Kinder sollen Phänomene des Alltags beobachten und beschreiben lernen.» Die Primarlehrerin ist seit Kurzem Teil eines Teams aus Weiterbildungscoaches, die das Konzept hinter dieser Unterrichtsform mit Kindergärtnerinnen, Kindergärtnern und Primarlehrpersonen einüben.

«Die Kinder sollen Phänomene des Alltags beobachten und beschreiben lernen.»
Sandra Nachtigal, Primarlehrerin

Hemmungen vor technischen Themen

Das von der Gebert Rüf Stiftung unterstützte Projekt namens «KiNaT» – Kindern Wege in Natur und Technik erschliessen – wurde von der Pädagogischen Hochschule FHNW in Kooperation mit dem Institut Unterstrass Zürich und der PH Bern entwickelt, um die Lust an unbelebter Natur und Technik zu wecken – in Kindern ebenso wie in Lehrpersonen. Denn gerade im Kindergarten und den ersten Primarschuljahren kommt dieser Bereich oft zu kurz. «Lehrpersonen sind Allrounder», sagt Susanne Metzger, Leiterin Zentrum Naturwissenschafts- und Technikdidaktik an der PH FHNW. «Sie müssen die ganze Bandbreite an Fächern abdecken.»

Schliesslich halten die jungen Forscherinnen und Forscher ihre Erkenntnisse mit Unterstützung der Lehrpersonen schriftlich fest. Foto: Johanna Bossart

Während des Studiums sei es nicht möglich, ein vertieftes Wissen in allen Teilbereichen zu erlangen. Später unterrichte man dann jene Gebiete lieber, in denen man sich sicher fühle. «Kindergarten- und Primarlehrpersonen haben oft Hemmungen, im Unterricht naturwissenschaftliche Themen zu behandeln.» Das fehlende Selbstvertrauen wird laut Metzger durch einen Mangel an Fachwissen, fachdidaktischem Wissen oder fehlender Erfahrung in diesem Bereich ausgelöst. Die schulinterne Weiterbildung KiNaT soll diese Lücke schliessen und Kindern einen Zugang zu Naturwissenschaften und Technik ermöglichen. «Letztlich soll die naturwissenschaftlich-technische Bildung insbesondere von Vier- bis Achtjährigen in der Schweiz gestärkt werden. Als Multiplikatoren sollen Lehrpersonen in der Lage sein, einen entsprechenden Unterricht zu gestalten.»

«Kindergarten- und Primarlehrpersonen haben oft Hemmungen, im Unterricht naturwissenschaftliche Themen zu behandeln.»
Susanne Metzger, Pädagogische Hochschule FHNW

Die Weiterbildung knüpft am Vorwissen der Teilnehmenden an

Während zwei Jahren hat das Forschungsteam unter der Leitung von Susanne Metzger an der Pädagogischen Hochschule FHNW am neuen Weiterbildungsangebot gearbeitet. Insgesamt wurde das Konzept an 22 Schulen und Kindergärten mit 270 Lehrpersonen erprobt. Bei der Entwicklung legte das Projektteam besonderen Wert auf die Flexibilität des schulinternen Angebots. Folglich stehen nun viele Bausteine zu Verfügung, die an die jeweilige Schule angepasst werden können. «Vor der Durchführung schauen wir jeweils sehr genau, was die Lehrpersonen und ihre Schülerinnen und Schüler schon können und knüpfen mit unserem schulinternen Weiterbildungsangebot an diesem Vorwissen an», sagt Susanne Metzger.

Flexibel ist auch die Dauer des Angebots: Manche Schulen buchen drei Tage über das Jahr verteilt, anderen genügen zwei halbe Tage. An dieser schulinternen Weiterbildung nimmt in der Regel das Kollegium der ganzen Schule teil. Im Fall der Kindergärtnerin Regina Fischer sogar Schulen aus drei Gemeinden im Kanton Baselland: Titterten, Arboldswil und Bretzwil. Mit anderen Lehrpersonen schlüpfte sie während eines Nachmittags in die Rolle ihrer Schützlinge. Es ging um das Thema Magnetismus. «Da dachten wir zuerst: Uh, Magnetismus – da weiss ich eigentlich auch nicht so viel darüber», sagt sie, «aber die Kursleiterin hat uns sehr gut eingeführt, wir konnten viel ausprobieren und haben genügend Material und Hintergrundinformationen erhalten.»

Nach dem LaBüKo-Konzept – der Begriff steht für Labor, Büro, Konferenzraum – besprechen die Kinder ihre Beobachtungen anschliessend im «Konferenzraum». Foto: Johanna Bossart

Kinder werden zu Forschenden

An der Weiterbildung lernen die Lehrpersonen zudem ein zentrales Konzept zur Vermittlung des Themas kennen: LaBüKo. Der Begriff steht für Labor, Büro und Konferenzraum. Eine Lektion nach KiNaT-Konzept bedeutet: die Kinder werden selbst zu Forschenden. Und wechseln auch die Räumlichkeiten – je nach Infrastruktur der jeweiligen Schule imaginär oder real: im Labor untersuchen sie, im Konferenzraum besprechen sie, zurück im Labor überprüfen sie nochmals ihre Thesen, halten danach eine zweite Konferenz ab und gehen schliesslich ins Büro, um ihre Beobachtungen festzuhalten. «Das finde ich besonders toll daran», sagt Fischer, die das KiNaT-Konzept mittlerweile bei sich im Kindergarten in Bretzwil umsetzt. «Man gibt immer wieder einen Impuls rein und lässt die Kinder in Grüppchen weiterforschen. So können sie das Gelernte spielerisch und schrittweise festigen.»

Beim Experimentieren gleich das Sprechen mittrainieren

Ebenfalls Teil des Konzepts: In einem LaBüKo-Durchgang finden sich überall Schnittstellen zu anderen sogenannten überfachlichen Kompetenzen. Susanne Metzger erklärt: «Es kann während des Experimentierens beispielsweise ein spezieller Fokus auf die Sprache gelegt werden. Die Lehrperson kann dazu etwa eine Wörterliste zum Thema Magnete als Unterstützung zum Sprechen über magnetische Phänomene abgeben. Oder die Kinder animieren, beim Experimentieren nach bestimmten Regeln miteinander zu diskutieren.» Überhaupt ist bei KiNaT alles erlaubt, was hilft, Dinge besser zu verstehen. An der Weiterbildung erhalten die Lehrpersonen Tipps und Tricks, wie sie sich und ihre Schule für KiNaT fit machen können. Denn die konkrete Umsetzung ist individuell. Manche Schulen haben laut Metzger zum Beispiel ein Forschungszimmer eingerichtet.

Aber auch ohne Forschungszimmer geht es prima, wie etwa an der Schule Biel-Benken, wo nun die kleinen Forschenden in Sandra Nachtigals Klasse ihre Erkenntnisse festhalten. Konzentriert bringen sie schreibend oder zeichnend das aufs Papier, was sie vorhin ausprobiert und herausgefunden haben. Ein Kind will noch etwas weiterpröbeln, knipst die Taschenlampe wieder an und beobachtet ein weiteres Mal, wie sich ein langer Schatten hinter der beleuchteten Figur ausdehnt.

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