Mehr Durchblick im eHealth-Dschungel
Smartwatches gehören für viele Menschen längst zum Alltag. Die kleinen Computer am Handgelenk messen mit Sensoren verschiedene Gesundheitsdaten, wie unzählige andere eHealth-Tools auch. Doch in der Flut digitaler Gesundheitsanwendungen fällt die Auswahl des passenden Instruments oft schwer. Christine Jacob und ihr Forschungsteam an der Hochschule für Wirtschaft FHNW haben eine Lösung für dieses Problem entwickelt: ein innovatives Bewertungssystem für eHealth-Instrumente. Im Gespräch erzählt die Digital- Health-Expertin, wie das System funktioniert und welchen Nutzen es für unser Gesundheitssystem hat.
Ja, ich trage eine Smartwatch. Für mich ist es sehr wichtig, auf meine Herzfrequenz, meine Aktivität und meinen Schlaf zu achten. Da ist ein solches Wearable sehr wertvoll.
Die meisten Wearables wurden als Verbraucherprodukte konzipiert. Aber Anfang dieses Jahres hat die US-amerikanische Food and Drug Administration FDA, die für die Zulassung von Medizinprodukten zuständig ist, die Verwendung der iWatch von Apple in der klinischen Forschung genehmigt. Es ist das erste Mal, dass ein kommerzielles Wearable so eine Freigabe für klinische Studien erhält. Das ist ein Riesenschritt nach vorn, denn so lassen sich grosse Datenmengen auch im häuslichen Umfeld erfassen, was vorher logistisch unmöglich war. Die Aussagekraft wird grösser.
eHealth-Tool ist nur ein Oberbegriff für den Einsatz von digitaler Technologie beispielsweise im Gesundheitsmanagement, in der Kommunikation zwischen Ärzt*innen und Patient*innen oder im Krankheitsmanagement. Wearables sind eine Untergruppe davon.
Die grosse Auswahl an eHealth-Tools ist einer der Hauptgründe, warum wir ein eHealth-Assessment-Tool entwickelt haben, also ein Werkzeug, mit dem sich die Qualität von eHealth-Tools bewerten lässt. Diese unterscheidet sich bei den verschiedenen Tools teilweise stark. Zertifizierungen für eHealth-Tools wie eine FDA-Zulassung oder CE-Kennzeichnung sind zwar ein Muss, bevor etwas auf den Markt kommt, doch sie konzentrieren sich auf die Sicherheit eines Produkts. Sie garantieren aber nicht, dass ein eHealth-Tool eine nachweisbare Wirkung hat und von den Anwendenden akzeptiert und erfolgreich eingesetzt wird. Ich hoffe, dass es mit einer angemessenen Bewertung, wie sie unser Tool ermöglicht, weniger negative Erfahrungen mit den falschen Technologien geben wird. Dann wissen die Menschen besser, in welche Technologien sie investieren, welche sie lizenzieren und welche sie einführen sollten. Das ist ein indirekter Weg, um solche Innovationen zu fördern.
Darauf kann ich Ihnen keine kurze Antwort geben. Unser Bewertungsinstrument hat 16 Cluster. Wir haben das Instrument mit 57 Expert*innen aus neun Interessengruppen und 18 Ländern validiert, um eine ausgewogene Perspektive zu erhalten. Es muss ein Gleichwicht herrschen. Sehr wichtig sind zum Beispiel die Benutzerfreundlichkeit und das Design. Ein weiteres Kriterium ist der klinische Nutzen und das klinische Ergebnis. Wenn ich mir zum Beispiel ein Gerät für kleine Kinder ansehe, kann ich keine Kompromisse bei der Benutzerfreundlichkeit und dem Design machen. Demgegenüber braucht es bei einer schweren Krankheit ein Instrument mit hohem klinischem Nutzen, das aber vielleicht nicht die volle Punktzahl für das Design bekommt. Aus diesem Grund haben wir bei unserem Tool eine Mehr-Punkte-Bewertung. Damit können die Nutzer*innen je nach Fall selbst Prioritäten setzten.
Wir sind noch in der Anfangsphase und haben das Assessment-Tool im April dieses Jahres eingeführt. In einem ersten Schritt haben wir das Bewertungsinstrument entwickelt, das einen sehr detaillierten Überblick über die Stärken und Schwächen eines bestimmten eHealth-Tools gibt, aber auch eine Vergleichbarkeit ermöglicht. Es ist online und als Datei zum Herunterladen verfügbar. Derzeit ist unser Bewertungsinstrument eine Entscheidungshilfe, die Menschen kostenlos benutzen können. Wir sind daher abhängig von der Finanzierung und dem Sponsoring, das wir von Innosuisse, Roche und KPT erhalten haben.
Es ist hauptsächlich für Entscheidungsträger im Gesundheitswesen gedacht, die in ein eHealth-Tool investieren möchten. Es handelt sich also um eine sehr spezialisierte Art der Bewertung. Sie richtet sich nicht an Patient*innen. Ein Nutzer unseres Tools kann zum Beispiel ein Spitalarzt sein, der eine Lizenz für eine dieser Technologien erwerben möchte – zum Beispiel, um eine Studie durchzuführen. Aber der Einsatz unseres Tools ist nicht auf die Forschung beschränkt. Es kann auch im klinischen Alltag sehr hilfreich sein. Eine weitere Zielgruppe ist die Pharmaindustrie, zum Beispiel bevor sie sich für eine Partnerschaft mit einem bestimmten eHealth-Anbieter entscheidet. Auch Tech-Investoren können mithilfe unseres Tools entscheiden, ob sie in eine eHealth-Firma investieren wollen. Es gibt noch zahlreiche weitere Einsatzmöglichkeiten.
Ich kenne kein ähnliches Bewertungsinstrument in der Schweiz wie unseres. Weltweit gibt es kommerzielle Instrumente. Aber diese konzentrieren sich meist auf Fitness- und Wellness-Apps. Wir haben in unser Bewertungs-Tool insbesondere medizinische Software integriert, die als Medizinprodukt zertifiziert ist. Das heisst, sie dient einem medizinischen Zweck, wie etwa der Diagnose, Behandlung oder Überwachung von Krankheiten.
Alle Bewertungsdaten liegen in Frankfurt in Deutschland. Aber es handelt sich nicht um kritische Informationen. Wir sammeln keinerlei Gesundheitsinformationen. Es werden nur die E-Mail-Adresse und die Bewertungsdaten gespeichert, aber nicht an Dritte weitergegeben. Für wissenschaftliche Zwecke werden die Daten in zusammengefasster und anonymisierter Form verwendet.
Ich würde nicht sagen, dass die Qualität im Allgemeinen verbessert wird. Aber unser Tool unterstützt Entscheidungsträger, indem es eine zuverlässige Möglichkeit zur Bewertung von eHealth-Tools bietet. Dies wiederum trägt dazu bei, die Qualität der Versorgung zu erhöhen, die Ergebnisse für die Patienten zu verbessern und den gleichberechtigten Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen zu fördern. Ausserdem unterstützt es eine effizientere Zuweisung von Ressourcen im Gesundheitswesen, indem es den Beteiligten den Weg zu den effektivsten eHealth-Lösungen weist. Dies kann zu Kosteneinsparungen und vernünftigen Investitionen in Gesundheitstechnologien führen.
Bisher wissen es die Kundinnen und Kunden sehr zu schätzen, einige haben bereits nach neuen Funktionen gefragt. Wenn es uns gelingt, mehr Finanzierung zu erhalten, gibt es viel Potenzial für die nächsten Schritte.
«Future Health» – eines von drei Zukunftsfeldern der FHNW
Im Rahmen ihrer Strategie FHNW 2035 wird die FHNW in den drei Zukunftsfeldern Future Health, Zero Emission und New Work ihre multidisziplinären Kompetenzen in den kommenden Jahren bündeln und ausbauen. Damit möchte sie in den gesellschaftlich relevanten Themenfeldern Arbeit, Gesundheit und Umwelt/Nachhaltigkeit neue Impulse für Lösungen zu aktuellen Problemfeldern der Wirtschaft und Gesellschaft geben.