Ein Mann in Schutzkleidung hantiert in Schutzkleidung mit Gerätschaften in der Kanalisation
Forschende der FHNW haben ein neues Konzept zur Analyse und Behandlung von Industrie-Abwasser entwickelt. Foto: Nicolas Zonvi
19. November 2014

Mehr Klarheit beim Industrieabwasser

Manche Industriebetriebe wissen nicht genau, ob ihr Abwasser schädlich für die Umwelt ist. Enthält es unbekannte Substanzen oder Stoffmischungen, die schwer abbaubar und giftig sind? Forschende des Instituts für Ecopreneurship der Hochschule für Life Sciences FHNW haben eine Methode entwickelt, die diese Frage zuverlässig beantwortet. Sie unterstützen die Betriebe auch dabei, ihr Abwasser kostengünstig und umweltfreundlich zu behandeln, damit es unbedenklich in die öffentliche Kanalisation eingeleitet werden kann.

Die Industrie nutzt Wasser für viele Zwecke. Zum Beispiel bei der Herstellung von Produkten, zur Rohstoffgewinnung, in Wasch- und Reinigungsprozessen, bei der Oberflächenbehandlung und zur Kühlung. Dabei gelangen viele chemische Substanzen ins Abwasser – es entsteht ein ganzer Cocktail von komplexen chemischen Mischungen. Diese Substanzen können miteinander reagieren oder sich abbauen, wobei wieder neue Stoffe entstehen. «Jede einzelne dieser Substanzen mittels chemischer Analytik zu identifizieren, ihr Schicksal und ihre Wirkung auf die Umwelt abzuschätzen und Grenzwerte für die Einleitung in die öffentliche Kanalisation festzulegen, erfordert einen enorm hohen Aufwand und ist nahezu unmöglich», sagt Miriam Langer, Professorin für Ökotoxikologie an der Hochschule für Life Sciences FHNW.

Belastetes Wasser trotz eingehaltener Werte

Betriebe dürfen ihr Abwasser über die öffentliche Kanalisation in die kommunalen Abwasserreinigungsanlagen dann einleiten, wenn sie die Vorgaben der eidgenössischen Gewässerschutzverordnung und der kantonalen Behörden einhalten.

«Abwässer können ein toxisches Potenzial besitzen, obwohl sie die geforderten Einleitungsvoraussetzungen einhalten.»
Miriam Langer, Leiterin der Arbeitsgruppe für Ökotoxikologie an der Hochschule für Life Sciences FHNW

Daher behandeln viele der fast 30 000 einleitenden Schweizer Betriebe ihr Abwasser mit verschiedenen Technologien vor. So sorgen sie dafür, dass beispielsweise der Gesamtanteil des gelösten organischen Kohlenstoffs den gesetzlichen Grenzwert nicht überschreitet. Denn für die meisten organischen Einzelstoffe gibt es in der Schweiz keine Grenzwerte. «Unsere Untersuchungen zeigen deutlich, dass Summenparameter wie der gesamthaft gelöste Kohlenstoff nicht mit dem toxischen Potenzial des Abwassers zusammenhängen», so Langer.

Unsichtbares sichtbar machen

Betriebe und Behörden können diese Situation verbessern, wenn es ihnen gelingt, die Wirkung aller im industriellen Abwasser enthaltenen Stoffe sichtbar zu machen. Genau dafür entwickelten Langer und ihr Team am Institut für Ecopreneurship das ABIScreen-Konzept.

Der erste Schritt im ABIScreen-Konzept ist ein Abbautest mit Mikroorganismen aus Klärschlamm. Die Mikroorganismen nutzen organische Stoffe im Abwasser als Nahrung und wandeln sie dabei um. Im Idealfall bauen sie die Stoffe vollständig zu CO2 und Wasser ab. Doch manche Stoffe sind nicht biologisch abbaubar und gelangen dann trotz Abwasserreinigungsanlage in die Gewässer und in die Umwelt. «Wir haben einen Abbautest entwickelt, der die Bedingungen in einer Abwasserreinigungsanlage realistischer und schneller widerspiegelt als der etablierte Standardtest», erklärt Michael Thomann, Leiter der Arbeitsgruppe für Umwelt- und Wassertechnologien am Institut für Ecopreneurship. «Dabei liefert er das Ergebnis in nur 7 anstatt in 28 Tagen.»

Das Abwasser wird in verschiedenen Verdünnungen getestet. Bild: FHNW, Katharina Lühmann

Der zweite Schritt des ABIScreen-Konzepts dient dazu, die Wirkung des Industrieabwassers auf eine Gruppe besonders empfindlicher Bakterien abzuschätzen, die Nitrifikanten. Diese Bakterien bauen in biologischen Abwasserreinigungsanlagen Ammonium ab. Hemmt ein Industrieabwasser ihre Aktivität, leidet die Reinigungsleistung der Anlage, was Gewässer beeinträchtigen kann. Mit dem biologischen Abbautest im Labor und der Beurteilung der Nitrifikanten-Aktivität lässt sich schnell herausfinden, ob Abwässer den natürlichen Abbauprozess stören.

Tests mit Algen, Wasserflöhen und Bakterien

Ob die Stoffe einer Probe, die nach der biologischen Stufe einer Kläranlage im Abwasser verbleiben würden, für Lebewesen giftig sind, zeigt sich im dritten Schritt, den Biotests. Es wird geprüft, ob die Probe das Wachstum von einzelligen Algen, die Schwimmfähigkeit von Wasserflöhen oder die natürliche Leuchtkraft biolumineszierender Bakterien beeinträchtigt. Zusätzlich kann in speziellen Fällen ein Test durchgeführt werden, um auch jene Stoffe nachzuweisen, die womöglich das Erbgut verändern.

«Wir unterstützen die Industrie dabei, sichere, effiziente und nachhaltige Verfahren der Abwasservorbehandlung zu entwickeln.»
Michael Thomann, Leiter der Arbeitsgruppe für Umwelt- und Wasserstechnologie an der Hochschule für Life Sciences FHNW

Die Forschenden haben ABIScreen zunächst in 19 Abwasserproben von unterschiedlichen Industriebetrieben getestet. Jetzt führen sie mit Unterstützung des Bundesamtes für Umwelt BAFU und fünf Kantonen bis 2026 ein schweizweites Monitoring durch. «Wir haben bereits Proben von mehr als 100 Industriebetrieben bekommen», freut sich Langer. «Es ist unser Ziel, eine breite Datengrundlage zum Stand der Technik in der Abwasser-Vorbehandlung diverser Branchen zu erhalten und Orientierungswerte für die Toxizität abzuleiten.» Zeigt sich beim ABIScreen-Verfahren, dass bestimmte Abwässer schwer abbaubare und giftige Stoffe enthalten, können die Betriebe dann nach den Ursachen suchen und Gegenmassnahmen ergreifen, zum Beispiel die Vorbehandlung des Abwassers ändern.

Wasserflöhe reagieren empfindlich auf Schadstoffe im Wasser und werden daher eingesetzt, um Abwässer zu untersuchen. Foto: Aline de Courten

Abwasser-Vorbehandlung optimieren

«Bei der Suche nach möglichst effizienten Methoden zur Vorbehandlung des Abwassers unterstützen wir die Industrie gerne», sagt Thomann. So haben die Forschenden der FHNW gemeinsam mit Kooperationspartnern auch ein Verfahren entwickelt, mithilfe dessen sogar das schwer abbaubare Abwasser eines Pharmabetriebs in die kommunale Kläranlage eingeleitet werden kann. Bislang muss dieses Abwasser zunächst verdampft werden und die trockenen Restbestandteile werden nach dem Verdampfen energie- und kostenintensiv verbrannt. Nur so kann es sicher entsorgt werden. Bei dem neuen Verfahren erfolgt zunächst eine Behandlung mit Ozon, dann eine mit Aktivkohle, gefolgt von einem biologischen Abbauprozess.

Wenn es verschiedene Möglichkeiten gibt, Abwasser nach dem Stand der Technik zu behandeln und zu entsorgen, müssen diese Verfahren, ihr jeweiliger Ressourcenverbrauch und ihre Umweltauswirkungen im Hinblick auf die Nachhaltigkeit objektiv miteinander verglichen und bewertet werden – am Institut für Ecopreneurship der Hochschule gibt es auch dafür Fachleute.

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