Raus aus den Fussstapfen der Eltern
Mit der Berufswahl treffen Jugendliche eine der ersten wichtigen Lebensentscheidungen. Doch nicht immer mit Erfolg. Ein Team um Markus Neuenschwander von der Pädagogischen Hochschule FHNW hat deshalb über zehn Jahre hinweg untersucht, welche Faktoren für eine erfolgreiche Berufswahl entscheidend sind. Die Ergebnisse lassen aufhorchen.
Wir haben die Jugendlichen über zehn Jahre lang begleitet – ab der fünften Klasse bis nach ihrem Sek II-Abschluss. Wir haben sie, aber auch ihre Eltern und Lehrpersonen immer wieder befragt. Eine solche Längsschnittstudie ist in Europa selten.
Meistens geht es heute bei der Berufswahl vor allem um die Interessen und die Fähigkeiten der Jugendlichen. Jetzt haben wir aber herausgefunden, dass die Wahl des Berufsfelds – also ob man in den handwerklichen, den kaufmännischen oder in den Pflegebereich geht – ganz entscheidend von den beruflichen Vorbildern abhängt, die man hat. Unsere Daten zeigen: Obwohl wir eigentlich eine freie Berufswahl haben und Jugendliche nicht mehr den gleichen Beruf lernen müssen wie ihre Eltern, wählen etwa 50 Prozent der Jugendlichen ein Berufsfeld, das mit einem ihrer beruflichen Vorbilder übereinstimmt.
Zu einem grossen Teil, ja. Und das ist nicht immer gut: Jugendliche, deren Eltern einen statustiefen Beruf haben, sollten ja möglichst nicht «automatisch» den gleichen Beruf wählen. Sie verpassen dadurch vielleicht die Chance, einen höheren Bildungsabschluss zu machen als ihre Eltern oder lernen einen Beruf, der sie gar nicht wirklich interessiert. Deshalb empfehlen wir, dass Jugendliche die eigenen beruflichen Vorbilder im Berufswahlprozess kritisch hinterfragen. So sind sie auch freier bei ihrer Entscheidung.
Auf der Basis unserer Daten haben wir einige Denkstrategien gefunden, die Jugendlichen helfen, eine gute Entscheidung zu treffen. Jugendliche sollten etwa frühzeitig anfangen, sich mit der Berufswahl auseinanderzusetzen und dann auch dranbleiben, bis sie zu einer Entscheidung kommen. Erfahrungen in verschiedenen Bereichen zu sammeln, hilft auch, zum Beispiel durch eine Schnupperlehre oder einen Besuch am Arbeitsplatz von Bekannten.
Die Interessen sind viel wichtiger als die Fähigkeiten. Natürlich heisst das nicht, dass alle jeden Beruf erlernen können. Aber es gibt in den verschiedenen Bereichen verschieden anspruchsvolle Ausbildungen. Was man vor allem nicht vergessen darf: Wenn ich etwas spannend finde, dann bin ich motiviert – und Motivation ist ein wichtiger Faktor für den Berufserfolg.
Eltern sollten sich unbedingt darüber informieren, wie das Berufsbildungssystem funktioniert. Ausserdem können sie ihr berufliches und soziales Netzwerk nutzen, damit ihre Kinder verschiedene Berufe kennenlernen können. Und: Sie sollten mit ihren Kindern bewusst und kritisch prüfend über den eigenen Beruf sprechen und sie ermutigen, einen anderen Beruf zu wählen, wenn er sie interessiert.
Wir führen immer wieder Infoanlässe an Schulen durch. Daran nehmen die Schülerinnen und Schüler der siebten, achten und manchmal auch neunten Klasse mit ihren Eltern teil, aber auch mit ihren Lehrpersonen. In einem kurzen Vortrag erklären wir ihnen die Erfolgsfaktoren für einen erfolgreichen Berufswahlprozess. Diese steigern die Chance, dass die Jugendlichen erfolgreich einen zu ihnen passenden Sek II-Abschluss erreichen – also eine passende Berufslehre, eine Berufs- oder gymnasiale Maturität abschliessen. An den Anlässen stellt sich in der Regel auch die lokale Berufsberatung vor und erklärt, wie sie Jugendliche bei der Berufswahl unterstützen kann. Die Erfahrungen zeigen, dass die Jugendlichen, die Eltern und auch die Lehrpersonen über dieses Angebot von uns sehr dankbar sind.
Bei den Anlässen setzen wir für alle Eltern, die kein Deutsch verstehen, Kulturvermittelnde ein, die in Echtzeit übersetzen. Das ist besonders wichtig, weil viele Eltern mit Migrationshintergrund das Schweizer Berufsbildungssystem nicht so gut kennen und ihre Kinder bei der Berufswahl deshalb weniger gut beraten können. Mit unseren Infoanlässen können wir die Chancengleichheit steigern, denn Jugendliche mit Migrationshintergrund machen immer noch seltener einen Sek II-Abschluss.
Unsere Daten zeigen, dass die Erwartungen von Lehrpersonen an ihre Schülerinnen und Schüler zentral sind. Wenn mir meine Lehrperson etwas zutraut, sie mich ermutigt und mir Hilfestellungen gibt, nehmen meine Leistung und auch meine Motivation zu. Weiter sollten Lehrpersonen besonders diejenigen Jugendlichen bei der Berufswahl individuell unterstützen, deren Eltern das nicht können.
Die Berufswahl ist eine zweite Chance: Im Beruf zählen plötzlich neue, andere Fähigkeiten, die in der Schule noch unwichtig waren. Wenn ich zum Beispiel im Verkauf arbeite, muss ich hohe soziale Kompetenzen haben und ein Produkt vermarkten können. Das war in der Schule nicht wichtig. Jugendliche, die in der Schule nicht erfolgreich waren, können in der Berufswelt trotzdem erfolgreich durchstarten. Klar, es gibt keine Garantie auf Erfolg, man muss sich anstrengen und Leistung bringen. Aber es ist eine Chance für einen Neustart.
Infoanlass an Ihrer Schule
Schulen können einen Schulanlass mit dem Projekt WiSel buchen und Jugendlichen und ihren Eltern eine Informationsveranstaltung vor Ort ermöglichen.