Ein Forscher der Hochschule für Technik FHNW prüft ein Speedboard. (Bildquelle: Video der Hochschule für Technik FHNW)
23. März 2021

Vorsprung durch nachhaltige High-Tech-Sohle

Laufschuhe des Sportartikel-Herstellers On zeichnen sich durch eine federnde, kraftschonende Platte in der Sohle aus. Eine neue Generation dieser Speedboards, mitentwickelt von Forschenden des Instituts für Kunststofftechnik der Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW, soll Läufer*innen schneller machen – und bietet ein Plus an Nachhaltigkeit.

Christian Brauner ist Maschinenbau-Ingenieur, kein Biologe. Doch wenn der Professor vom Institut für Kunststofftechnik der Hochschule für Technik FHNW die Wirkungsweise der Speedboards in Laufschuhen erklären will, verweist er auf Kängurus. Diese bewegen sich weit energieeffizienter als andere Tiere. Die äusserst elastischen Sehnen in den Hinterbeinen der Kängurus funktionieren wie eine Feder und fangen bei der Landung die Energie vorhergehender Sprünge auf. Diese Energie nutzen sie für den nächsten Sprung. «Ähnlich ist es beim Speedboard: Es verringert die Bewegungsenergie, die beim Übergang zwischen den Schritten verlorengeht», so Brauner. «Denn es speichert wie eine gespannte Feder kurzzeitig die Energie beim Auftreffen des Fusses auf dem Untergrund, um sie anschliessend wieder abzugeben.»

«Ein Verbundmaterial aus Carbonfasern und Kunststoff muss ganz anders verarbeitet werden als reiner Kunststoff.»
Professor Christian Brauner, Leiter Kompetenzfeld Leichtbau und Faserbundtechnologie an der Hochschule für Technik FHNW

Ursprünglich bestanden die Speedboards aller Laufschuh-Modelle von On aus einem Kunststoff. Mit der Idee, die Federwirkung der Speedboards durch den Einsatz eines Verbundmaterials aus Carbonfasern und Kunststoff zu erhöhen, wandte sich das Schweizer Unternehmen Anfang 2018 an Christian Brauner und sein Team von der FHNW. «Die Carbonfasern erhöhen die Steifigkeit des Materials, so dass es einen höheren Anteil der aufgenommenen Bewegungsenergie wieder abgeben kann», sagt Brauner. «Allerdings muss ein solches Composite ganz anders verarbeitet werden als reiner Kunststoff.»

Ein Spike-Schuh für Spitzensportler*innen

Mit dem neuen Speedboard sollten Spitzenathlet*innen einen leistungsfördernden Schuh zum Laufen auf der Tartanbahn in Leichtathletikstadien erhalten. Typisch für solche Schuhe sind hineingeschraubte Dornen, sogenannte Spikes, um die Bodenhaftung der Läufer*innen zu verbessern. «Wir haben hinsichtlich des Designs neue materialspezifische Formen erdacht: On hatte bis dahin keinen Spike-Schuh im Angebot. Vor allem aber mussten wir für das Speedboard ein Design entwerfen, das sich mit carbonfaserverstärktem Material umsetzen lässt und dessen Vorteile zur Geltung bringt», sagt Stefan Grieder aus dem Forschungsteam der FHNW. Parallel zu diesem von Innosuisse geförderten Projekt entwickelten die Forschenden ein faserverstärktes Speedboard für einen Schuh, der nicht so stark von den üblichen On-Modellen abweicht wie das Spitzenmodell mit den Spikes.

«Wir haben hinsichtlich des Designs neue materialspezifische Formen erdacht.»
Stefan Grieder, wissenschaftlicher Assistent am Institut für Kunststofftechnik der Hochschule für Technik FHNW

Eine besondere Herausforderung beim Spike-Schuh-Projekt bestand für die Ingenieur*innen darin, dass es keine genauen Angaben darüber gab, welche Rückstellkräfte an welcher Stelle der Sohle besonders leistungsfördernd sind. «Wir haben daher zunächst eine ganze Reihe unterschiedlicher Speedboard-Prototypen hergestellt und auf bestehende Schuhe aufgeklebt. Dann haben Läuferinnen und Läufer sie getestet und uns ihre Erfahrungen rückgemeldet», erinnert sich Grieder. So näherten sich die Forschenden der FHNW schrittweise einem optimalen Design an.

Spitzenläuferinnen und -läufer wie Tadesse Abraham setzen auf modernste Laufschuh-Technologien. (Bild: Janosch Abel @ https://press.on-running.com/#)

Produktion in fünf Minuten

Bei der Herstellung der Speedboards setzen die Fachleute der FHNW auf ein Verfahren, bei dem zunächst eine mattenförmige Mischung aus rezyklierten Carbonfasern und Kunstharzen zurechtgeschnitten und in eine heisse Form eingelegt wird. Die Form wird geschlossen und unter hohen Druck gesetzt. Das Material fliesst daraufhin und füllt die Leerräume in der Form. Nach kurzem Aushärten des faserverstärkten Materials kann das endkonturnahe fertige Speedboard entnommen werden. «Dieser ganze Fliesspressvorgang dauert höchstens fünf Minuten und kommt fast ganz ohne Handarbeit aus», betont Brauner. Das macht die Speedboard-Produktion kostengünstig und für hohe Stückzahlen interessant.

«Für uns als Firma ging es bei der Zusammenarbeit mit der FHNW insbesondere darum, den nächsten Schritt in Sachen Nachhaltigkeit zu gehen», sagt Nils Altrogge vom On Innovation Technology Team. Das ist gelungen: Die Carbonfasern stammen aus Abfällen der Automobil- und Luftfahrtindustrie, die bei der Produktion von Leichtbauteilen entstehen.

«Für uns als Firma ging es bei der Zusammenarbeit mit der FHNW insbesondere darum, den nächsten Schritt in Sachen Nachhaltigkeit zu gehen.»
Nils Altrogge, Leiter des Innovation Technology Team bei On AG

Reif für Olympia?

Demgegenüber müssen Athlet*innen auf den Spike-Schuh samt Speedboard noch eine Weile warten. Mit zahlreichen unterbrochenen Lieferketten hat die Covid-19-Pandemie einen Strich durch die ursprünglichen Zeitpläne gemacht. Auch die Olympischen Spiele 2020 in Tokio, zu denen Athlet*innen mit den Schuhen ausgerüstet werden sollten, wurden verschoben. Eine kurzfristige Regeländerung des Internationalen Leichtathletikverbandes für die Olympische Spiele sorgte bei Sportschuhherstellern für zusätzliche Unsicherheit. Demnach muss jedes Schuhmodell, das Athlet*innen im Wettkampf nutzen, im «Geist der Universalität der Leichtathletik» für jeden und jede verfügbar sein. Das heisst, die Schuhe müssen in allen Grössen im Handel zu kaufen sein. Speziell für einzelne Athlet*innen angefertigte Schuhe wären demnach nicht zulässig.

Technologisch sind die Weichen für das nachhaltige und leistungsstarke neue Speedboard gestellt. Ob und wann die Läufer*innen leichtfüssig mit dem neuen Schuh trainieren können, bleibt jedoch – wie so vieles während der Corona-Pandemie – offen.

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