Für Viele ein Dilemma: Fett und Zucker lösen sofort Glücksgefühle aus - die negativen Folgen treten erst später auf. Gesunde Ernährung liefert hingegen keine sofortigen Glücksgefühle und die positiven Folgen treten erst später ein. (Foto: iStock.com/sefa ozel)
24. März 2020

Wie die Wissenschaft den inneren Schweinehund besiegen will

Immer mehr Menschen leiden aufgrund von Übergewicht an chronischen Erkrankungen wie Diabetes. Helfen würden ihnen gesunde Ernährung und Bewegung. Doch die Umstellung fällt schwer. Forschende der FHNW entwickeln nun personalisierte Massnahmen, mit denen Betroffene ihren Lebensstil langfristig ändern und ihre Lebensqualität verbessern können.

«Eine halbe Stunde am Tag joggen und den Ernährungsplan einhalten – das klingt einfach», sagt Dorothea Schaffner, Professorin für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule für Angewandte Psychologie FHNW. «Doch viele schaffen es nicht.» Dorothea Schaffner hat sich mit ihrem Team eine ehrgeizige Aufgabe gesetzt: Sie will Schweizerinnen und Schweizern helfen, ihren inneren Schweinehund zu besiegen, der ungesundes Essen liebt und Bewegung scheut. Laut Bundesamt für Statistik sind bereits über 40 Prozent der Menschen in der Schweiz übergewichtig. Die Zahl steigt stetig. Folgen sind chronische Erkrankungen wie Diabetes Typ 2 oder Bluthochdruck. Zwar bezuschussen Krankenkassen Massnahmen wie Ernährungsberatung oder Fitnesskurse, doch viele, die dran teilnehmen, fallen nach kurzer Zeit wieder in alte Muster zurück. Dorothea Schaffner erklärt das Dilemma, in dem sich Betroffene befinden: «Fett und Zucker lösen sofort Glücksgefühle aus. Die negativen Folgen treten erst später auf. Bei gesunder Ernährung bleiben diese sofortigen Glücksgefühle aus. Und die positiven Folgen treten erst in der Zukunft ein.»

Wie schafft man es trotzdem, den eigenen Lebensstil langfristig zu verändern, um gesund zu werden oder zu bleiben? Diese Frage untersucht Schaffner mit ihrem Team in Kooperation mit Forschenden der Hochschule Luzern. mitbeteiligt sind auch drei Praxispartner: Die Gesundheitsplattform mycoach.ch, die Apothekenkette Dr. Bähler Dropa und die Krankenversicherung CSS. Gefördert wird das Projekt von Innosuisse.

«Viele schaffen es nicht.»
Dorothea Schaffner, Professorin für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule für Angewandte Psychologie FHNW

Massnahmen den persönlichen Verhältnissen anpassen

Ein zentraler Befund des Projektteams lautet: Die bisherigen Massnahmen zur Unterstützung Betroffener sind zu standardisiert. Wer seinen Lebensstil langfristig ändern will, braucht personalisierte Angebote, die zum eigenen Motivationstyp und zur Lebenssituation passen.

Die Forschenden haben mit Expertinnen und Experten aus dem Gesundheitsbereich sowie mit Menschen, die ihren Lebensstil ändern wollen, gesprochen. Die Interviews wie auch die Forschungsliteratur zeigen, dass zwei Motivationstypen zu unterscheiden sind: der intrinsisch motivierte und der extrinsisch motivierte Typ. «Intrinsisch motivierte Menschen haben den Willen zur Veränderung in sich und brauchen vor allem das richtige Wissen, um ihr Verhalten selbst zu ändern», sagt Dorothea Schaffner. «Extrinsisch Motivierte hingegen brauchen viel Unterstützung und Anleitung von aussen.»

Mit Hilfe der Erkenntnisse aus der gesundheitspsychologischen Forschung und den Interviews hat das Forschungsteam Massnahmen zur Unterstützung der beiden Motivationstypen erarbeitet. Diese Massnahmen unterscheiden sich je nach Typ in der individuellen Zielsetzung sowie in den Bereichen Experten-/Expertinnen-Coaching, Feedback, Kontrolle und Unterstützung durch das eigene Umfeld. Für extrinsisch Motivierte schlägt das Projektteam zum Beispiel ein Götti-System vor. Dabei begleitet eine Person aus dem eigenen Umfeld den Betroffenen bei seinem oder ihrem Prozess, motiviert zum Weitermachen und lässt sich Updates über den Fortschritt geben.

Einer intrinsisch motivierten Person, so erklärt es Dorothea Schaffner, könnte man Texte mit wissenschaftlichen Erkenntnissen zu den Themen gesunde Ernährung und Bewegung zur Verfügung stellen, damit sie ihr Wissen und ihre Kompetenzen selbstständig aufbauen kann. Eine Lauf-App kann der Person helfen, Joggingrouten eigenständig zu planen und den Erfolg des Bewegungsplans selbst zu überwachen.

Tests unter realen Bedingungen

Geplant ist eine Umsetzung der Massnahmen in Zusammenarbeit mit den Wirtschaftspartnern. Bis zum Projektende im November 2020 läuft eine Wirkungsstudie. Dabei soll ermittelt werden, ob die unterschiedlichen Vorgehensweisen für intrinsisch und extrinsisch motivierte Personen zu einer Änderung ihres Lebensstils führen.

Ein Zusammenspiel verschiedener Anbieter aus dem Gesundheitsbereich kann den Erfolg der personalisierten Massnahmen nach Meinung der Forschenden zusätzlich erhöhen. So könnte etwa eine Apothekerin der betroffenen Person helfen, die eigenen Ziele auf mycoach.ch zu formulieren und ihr während des Programms immer wieder beratend zur Seite stehen. Sobald die Ziele erreicht sind, erstattet die Versicherung einen Teil der Kosten für das Programm. «Wir prüfen, an einem Pilotstandort von Dr. Bähler Dropa AG, unterstützende Massnahmen ganzheitlich umzusetzen», sagt Dorothea Schaffner.

«Es geht darum, den Menschen als Ganzes zu verstehen.»
Dorothea Schaffner, Professorin für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule für Angewandte Psychologie FHNW

Auf dieser Basis wollen die Forschenden ein sogenanntes Ecosystem, mit dessen Hilfe Ärztinnen und Ärzte, Ernährungsberater*innen, Apotheker*innen und andere Gesundheitsdienstleister die Betroffenen ganzheitlich beraten können. «Es geht darum, den Menschen als Ganzes zu verstehen», sagt Dorothea Schaffner. Es könnte zum Beispiel sein, dass eine Person Schmerzmittel nimmt oder ein Herzleiden hat. «Es spielt auch eine Rolle, ob jemand ein kleines Kind hat und deshalb nicht einfach mal joggen gehen kann. Solche Rahmenbedingungen müssen für eine nachhaltige Veränderung des Lebensstils berücksichtigt werden», erklärt Schaffner. Nur wenn man solche Faktoren kennt und die Dienstleister untereinander vernetzt sind, könne man einen Bewegungs- und Ernährungsplan aufstellen, der sich an den Bedürfnissen dieser Person orientiert – und wirklich hilft.

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