Prof. Dr. Nathalie Amstutz, Institut für Personalmanagement und Organisation, Hochschule für Wirtschaft FHNW (Bild: zVg)
18. Juni 2019

Wie steht es um die Geschlechter­gerechtigkeit?

Nathalie Amstutz ist Professorin am Institut für Personalmanage­ment und Organisation der Hochschule für Wirtschaft FHNW und forscht zu Gender & Diversity Management. Im Interview erklärt sie, was Firmen tun können, um den Frauenanteil in Führungspositionen zu erhöhen.

Frau Amstutz, am 14. Juni war Frauenstreik. Haben Sie mitgestreikt?

Nathalie Amstutz, Hochschule für Wirtschaft FHNW: Natürlich! Der Streik ist wichtig, weil Gleichstellungsfragen nicht einfach individuell gelöst werden können, sondern nur über die Veränderung gesellschaftlicher Strukturen. Der Streik schafft eine Solidaritätsbewegung, die Forderungen stellt.

Was sind die grössten Probleme in der Schweiz bezüglich Geschlechtergleichheit?

Ein Problem ist sexuelle Belästigung und die Sexualisierung von Frauen. Ein weiterer Punkt ist die Unterrepräsentation von Frauen in Führungspositionen gepaart mit Lohnungleichheit. Was in der Öffentlichkeit weniger thematisiert wird, ist die unterschiedliche Teilhabe von Frauen an Ressourcen. Frauen sind markant übervertreten bei Einkommen unter 4000 Franken bei einem Vollzeitpensum. Das betrifft ein Drittel der Frauen.

Geht es bei diesen Ressourcen primär um Geld?

Nicht nur. In der sogenannten Einfacharbeit, zum Beispiel im Reinigungssektor, arbeiten immer mehr Personen im Stundenlohn, die Mehrheit davon sind Frauen. Sobald aber kein festes Anstellungsverhältnis mehr besteht, bekommen sie kaum mehr Weiterbildung, also keine berufliche Perspektive. Zudem verändert sich die Arbeit mit der Digitalisierung, manche Jobs, etwa an der Kasse, verschwinden. Aktuell untersuchen wir in einem SNF-Forschungsprojekt, wie Arbeitgeber ihr Personal weiter qualifizieren können und wie neue Jobprofile aussehen könnten.

«Die Schweiz steht im internationalen Vergleich nicht gut da.»
Hat sich die Ungleichheit in den letzten 20 Jahren abgeschwächt?

Heute sind neun Prozent der Geschäftsleitungsposten von Frauen besetzt und etwas über zwanzig Prozent in den Verwaltungsräten. Es gab eine Bewegung, aber sie ist gering. Die Schweiz steht im internationalen Vergleich nicht gut da. Wollen die Geschäftsleitungen das ändern, müssen sie ihre Entscheidungsprozesse überdenken und Massnahmen ergreifen. Die Forschung bietet da Hand: Der Think Tank «Gender & Diversity» macht Forschungsergebnisse der Schweizer Universitäten und Hochschulen zugänglich und unterstützt eine informierte öffentliche Debatte. Die Hochschule für Wirtschaft FHNW bietet zudem den CAS Diversity- und Gleichstellungskompetenz an. Es gibt also viele Ebenen, auf denen Firmen etwas tun können.

Wieso sollten Unternehmen etwas für Gleichstellung tun?

Erstens aus Gerechtigkeitsgründen: Sie sind rechtlich dazu verpflichtet, gleiche Chancen zu garantieren. Zweitens aus Wettbewerbsgründen: Die Firmen sind als Arbeitgeber attraktiver. Und drittens gibt es Studien, die zeigen, dass gemischte Geschäftsleitungen und Verwaltungsräte bessere Resultate bringen. Wahrscheinlich liegt das daran, dass Unternehmen mit hohem Frauenanteil generell einen hohen Grad an Innovationsbereitschaft aufweisen. Das heisst: Sie reflektieren ihre Entscheidungsprozesse und schlagen eher neue Wege in der Personalentwicklung ein.

Wie entsteht die Ungleichheit in den Führungsebenen?

Auf Organisationen bezogen wissen wir, dass bestimmte Dynamiken Ausschliessungsmechanismen produzieren. Auch dazu hatten wir an der FHNW ein Forschungsprojekt. Es ging um Geschlechterungleichheit und wie sie das Selbstverständnis von Organisationen herausfordert. In einem Interview sagte uns eine Topmanagerin bezüglich der Beförderung von Frauen: «Arbeitgeber riskieren es mit dem Mann, aber sie brauchen Sicherheit bei der Frau.» Frauen bekommen also nicht den gleichen Kredit wie Männer.

«Gleichstellungsfragen können nur über die Veränderung gesellschaftlicher Strukturen gelöst werden.»
Was können Firmen dagegen machen?

Firmen sollten Frauen in die wichtigen Gremien und Projekte einbinden, und zwar von Anfang an. Die Suche nach Frauen darf nicht erst beginnen, wenn ein Verwaltungsratsposten frei ist.

Sind Quoten eine Lösung?

Eine Geschlechterquote ist eigentlich eine Zielvorgabe und ein wirkungsvolles Instrument. Quoten sind nur dann bedrohlich, wenn sie innerhalb von Abteilungen zu hoch gesetzt werden, zum Beispiel in technischen Branchen, wo sich viel weniger Frauen bewerben als anderswo.

Sind mehr Teilzeitstellen ebenfalls ein Weg zu mehr Gleichberechtigung?

Teilzeitarbeit ist zweischneidig. Einerseits ermöglicht sie die Vereinbarkeit mit der Familie. Andererseits delegiert Teilzeit die Vereinbarkeitsaufgabe gegenwärtig an die Frauen, denn sie sind es, die auf Geld und Sozialleistungen verzichten. Nur wenige Männer arbeiten Teilzeit, sie werden von Organisationen dazu auch kaum ermutigt, denn Teilzeit gilt als Karrierekiller. Frauen, die 100 Prozent arbeiten und weniger als 4000 Franken verdienen, können sich Teilzeit sowieso nicht leisten. Die Lösung wäre, die Kinderbetreuungsangebote günstiger zu machen. Das allerdings sehe ich als staatliche Aufgabe.

Podiumsreihe «Geschlecht – Bildung – Profession»

Die vierteilige Veranstaltungsreihe beleuchtet Gender- und Gleichstellungsfragen in pädagogischen Berufen. Pädagoginnen und Pädagogen, Politikerinnen und Politiker sowie Forschende der FHNW sind zu Gast. Das erste Gespräch findet am 20. Juni in Basel statt und dreht sich um die Frage: Wie engagierten sich Lehrerinnen bisher politisch? Vor 60 Jahren zum Beispiel streikten die Lehrerinnen des Mädchengymnasiums Basel – aus Protest gegen ein erneutes Abstimmungs-Nein zum Frauenstimmrecht. Der zweite Abend am 23. Oktober 2019 in Solothurn widmet sich dann dem Thema der geschlechterspezifischen Bildungs- und Berufswege in der Pädagogik. Wieso sind kaum Lehrer auf Primarstufe zu finden und Frauen in schulischen Führungspositionen untervertreten? Der dritte Abend findet am 10. März 2020 in Aarau statt und fokussiert auf den Zusammenhang zwischen Geschlechterungleichheit, Demokratie und Schule. Die Reihe endet am 30. Juni 2020 in Muttenz, wo Berufe auf den Faktor Geschlecht hinterfragt werden.

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