Wie wollen wir in Zukunft arbeiten?
Digitalisierung und Corona-Pandemie haben den Büroalltag umgekrempelt. Arbeitgebende setzen zunehmend auf eine Büroumgebung mit vielfältigen offenen und geschlossenen Zonen, die Mitarbeitende je nach aktueller Aufgabe flexibel nutzen können. Doch solche Multi-Spaces müssen passend gestaltet werden. Forschende der Hochschule für Angewandte Psychologie FHNW helfen dabei: ein Gespräch mit Theresia Leuenberger und Hartmut Schulze vom Institut für Kooperationsforschung und -entwicklung.
Theresia Leuenberger: Wenn die Führungskräfte eine offene Bürolandschaft ankündigen, so löst das ein gewisses Rumoren bei vielen Mitarbeitenden aus. Wie bei jedem Veränderungsprozess sind einige Personen skeptisch.
Hartmut Schulze: Häufig bilden die etablierten Einzel- oder Team-Büros ein eigenes kleines Ökosystem. Der «eigene» Arbeitsplatz hat auch historisch gesehen eine grosse Bedeutung, daran macht sich auch ein Stück Status fest. Die Menschen dort herauszulösen, ist schwierig.
T.L.: Es ist sehr wichtig, die Mitarbeitenden in den Veränderungsprozess einzubeziehen und sie bei ihren Bedürfnissen abzuholen. Ausserdem sollten sie stets über den Stand des Prozesses auf dem Laufenden gehalten werden.
H.S.: Der Prozess sollte schon lange vor dem Einrichten der Multi-Spaces beginnen. Alle Betroffenen müssen gemeinsam eine Antwort auf die Frage finden: Wie möchten wir in Zukunft zusammenarbeiten? Was sind die Vorteile, wenn ich keinen eigenen fix zugeordneten Arbeitsplatz mehr habe? Oft unterschätzen die Institutionen, wie zentral es für den Erfolg ist, dass eine solche Zielvorstellung erarbeitet wird. Darüber hinaus gibt es eine recht naheliegende Möglichkeit, Mitarbeitende von den Vorteilen eines Multi-Spaces zu überzeugen: Besichtigungen von entsprechenden, bereits existierenden Bürolandschaften führen oft zu einem positiven Aha-Effekt.
H.S.: Wir haben über die letzten Jahre viel Erfahrung im Workplace Change Management sammeln können und nehmen häufiger eine Moderationsrolle bei dem gesamten Prozess ein. So sorgen wir beispielsweise dafür, dass die künftigen Nutzer der Multi-Spaces aus ihrer Sicht zentrale Anforderungen formulieren – etwa die Notwendigkeit von Gesprächen untereinander und mit Kundinnen und Kunden oder das Bedürfnis nach ruhigen Orten für konzeptionelle Arbeiten. Diese Anforderungen müssen dann in die Ausschreibungen für die Bauphase und die Ausgestaltung der Räumlichkeiten einfliessen. In Bürolandschaften bilden sich sogenannte «stehende Verhaltensmuster» heraus, so ist häufig rund um die Kaffeemaschine ein Ort, an dem sich spontane Begegnungen ereignen. Solche Kombinationen aus Verhaltensweisen und räumlichen Umgebungen, kurz Settings genannt, sind in ihrer Gänze nicht vorhersehbar, können aber gezielt in die Planung einbezogen werden.
T.L. Bei dem Projekt Rosengarten in Solothurn haben wir unter anderem für den Schulpsychologischen Dienst ein Setting entwickelt. Der Dienst war ursprünglich in einer Wohnung untergebracht. Gemeinsam mit den Mitarbeitenden haben wir in Workshops diskutiert, was ihnen an einem neuen Arbeitsplatz im Gebäude Rosengarten wichtig ist. Zum Beispiel, dass die Tische in den Besprechungszimmern rund sind. Das klingt vielleicht trivial. Doch diese Tischform gibt den Mitarbeitenden das Gefühl von Gleichwertigkeit und ermöglicht es ihnen zudem, Distanz und Privatsphäre einfacher zu wahren. In meinem Team liegt daher ein Fokus unserer Forschung auf der Frage, wie die physisch-materielle Umgebung die Mitarbeitenden bei ihren Tätigkeiten unterstützt.
H.S.: Die Mitarbeitenden des Schulpsychologischen Dienstes wollten zudem leicht erkennen können, welche Besprechungszimmer frei sind. Das ist typisch: Der subjektiv empfundene Aufwand im Büroalltag muss möglichst gering sein, damit eine Büroumgebung als angenehm empfunden wird. Dazu gehört auch, dass die Wege zu Besprechungszimmern oder Telefonboxen nicht zu lang sind. Besprechungszimmer sollten einfach buchbar sein und es muss sinnvolle Regeln für die Reservierung geben. Die Entwicklung solcher Regeln gehört zu den Dienstleistungen, die wir unseren Projektpartnern anbieten.
H.S.: Wir haben gemeinsam bei einem anderen Partner ein Konzept für eine Teeküche mit einem Pausenbereich entwickelt. Der Pausenbereich war mit gemütlichen breiten Sesseln ausgestattet. Nur hat sie niemand benutzt. Denn der Pausenbereich war von oben einsehbar und die Leute fühlten sich beobachtet. An diesem Beispiel sieht man auch einen Vorteil unserer Arbeit: Wir führen Evaluationen und Nachbefragungen durch und schauen, ob die entwickelten Konzepte funktionieren und wie sie verbessert werden können. Dies ist im Übrigen ein zentraler Vorteil flexibler Raumkonzepte: sie können viel leichter angepasst werden.
T.L.: Ja, insbesondere, weil Multi-Spaces meist damit einhergehen, dass sich Mitarbeitende einen Arbeitsplatz teilen. Doch fast immer muss diese Hoffnung enttäuscht werden. Denn die gemeinschaftlich genutzten Zonen brauchen viel Platz. Multi-Spaces können das Wohlbefinden und die Produktivität der Mitarbeitenden steigern und die Attraktivität des Arbeitgebenden insbesondere für junge Nachwuchskräfte erhöhen – das sollte die Motivation sein, um sie einzurichten.
Die Mitarbeitenden des Instituts für Kooperationsforschung und -entwicklung der Hochschule für Angewandte Psychologie FHNW begleiten verschiedene kantonale Büroprojekte, u.a. ein Projekt des Bildungs- und Kulturdepartements (DBK) des Kantons Solothurn. Der Regierungsrat hatte 2015 beschlossen, drei Ämter sowie das Sekretariat des Departements in einem Gebäude zu vereinen, das in der Stadt Solothurn unter dem Namen Rosengarten bekannt ist. Dieses Gebäude aus den 1960er-Jahren, unter anderem als Berufsschule genutzt, wurde zu einer modernen Bürolandschaft umgebaut. Für das DBK schafft die neue räumliche Nähe seiner Dienststellen interessante Möglichkeiten für moderne Formen der Zusammenarbeit, die «Inseldenken» und Hierarchien aufbrechen sollen.