Arbeitssuchende 50+: Mit einem Profil digitaler Kompetenzen punkten
Arbeitssuchende über 50 begegnen vielen Vorurteilen. Fehlende Digitalkompetenz ist eines davon. Ein interdisziplinäres Team der Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW entwickelt nun ein Werkzeug, mit dem ältere Bewerber*innen ihre digitalen Kenntnisse bilanzieren und sichtbar machen können.
Eigentlich ist es paradox: Die Gründerväter von Apple und Microsoft sind heute im Pensionsalter – oder wären es, so Steve Jobs noch lebte –, doch gerade älteren Arbeitnehmenden wird unterstellt, sie seien nicht technikaffin und hinkten digital hinterher. So bezweifeln manche Unternehmen, dass die digitalen Fähigkeiten und Fertigkeiten der etwas jüngeren Zeitgenossen von Bill Gates & Co. ausreichen, um die heutigen beruflichen Anforderungen zu bewältigen – und entscheiden sich deshalb lieber für junge Arbeitskräfte.
Tatsächlich kann die Generation 50+ ihre digitalen Qualifikationen häufig nicht durch Zertifikate belegen. «Doch viele ältere Menschen verfügen über einen Schatz an digitalen Kompetenzen, die sie sich im Rahmen ihrer Arbeit oder aus eigenem Antrieb in der Freizeit angeeignet haben», sagt der Soziologe Martin Schmid von der Pädagogischen Hochschule FHNW.
Ein selbstbewusster Auftritt
Der Forscher ist überzeugt, dass viele ältere Arbeitnehmende über einen unterschätzten digitalen Wissensschatz verfügen. So haben einige von ihnen ihre ersten digitalen Erfahrungen bereits mit Heimcomputern wie Atari oder Commodore gemacht und programmierten einst reihenweise Befehlszeilen in der noch heute geläufigen Programmiersprache BASIC.
Schmid will dieses digitale Knowhow der Generation 50+ nun für Arbeitgebende sichtbar machen. Dafür entwickelt er zusammen mit dem Ökonomen Christoph Minnig von der Hochschule für Wirtschaft FHNW und einem interdisziplinär zusammengesetzten Team ein digitales Instrument, mit dem sich diese Kompetenzen individuell einschätzen und in Form eines Kompetenzprofils veranschaulichen lassen. Ein solches Profil zeigt, ob und wie gut jemand mit verschiedenen digitalen Geräten und Medien umgehen kann.
Stellensuchende können das Profil in schriftlicher Form ihren Bewerbungsunterlagen beilegen. Ausserdem hilft es älteren Arbeitssuchenden oder auch Berufstätigen, sich mit dem eigenen Kompetenzprofil kritisch und differenziert auseinanderzusetzen: In Mitarbeitenden- oder Bewerbungsgesprächen finden sie dann eher die richtigen Worte, um ihre Fähigkeiten ins «rechte Licht» zu rücken. Ein weiterer positiver Nebeneffekt: «Sich selbst durch die Erstellung eines Kompetenzprofils klarzumachen, in welchem Mass man mit der digitalen Welt vertraut ist, steigert auch das Selbstbewusstsein und damit die Chancen auf dem Stellenmarkt», erklärt Schmid.
63 Kompetenzen
Schmid und sein Team haben das von zwei Stiftungen finanzierte Projekt Vali50+ im Juni 2020 gestartet. Seitdem haben die Forschenden eine Art Checkliste – den sogenannten Kompetenzrahmen – mit 63 digitalen Kompetenzen aus 6 Kompetenzfeldern erstellt. Zugeschnitten ist sie auf Nicht-IT-nahe Berufsfelder wie etwa den Handel oder Dienstleistungsbereich. Auf der Liste findet sich zum Beispiel die Einschätzung «Kann Passwörter sicher verwalten» aus dem Kompetenzfeld «Sicherheit und Recht» oder aus dem Kompetenzfeld «Problemlösen und Weiterlernen»: «Kann mit der Unsicherheit durch die stetige Veränderung digitaler Technologie und der Intransparenz digitaler Prozesse produktiv umgehen». Und eine Beurteilung aus dem Kompetenzfeld «Umgang mit Informationen und Daten» lautet: «Kann grundlegende Parameter von Dateien (zum Beispiel Dateiformat, Grösse der Datei) erkennen und einschätzen».
Akribisch zusammengestellt
Der Kompetenzrahmen basiert auf einer umfangreichen Recherche der Fachliteratur. Zusätzlich hat das Vali50+-Team Fachkräfte von regionalen Arbeitsvermittlungen und aus Personalabteilungen von Unternehmen befragt, welche digitalen Kompetenzen heute auf dem Arbeitsmarkt gewünscht sind. Um verschiedene Fähigkeitsstufen zu erfassen, haben die Forschenden schliesslich ein Einschätzungsraster erstellt, in dem die Kriterien für die Beurteilung einer digitalen Kompetenz festgelegt sind. Je nach Vertrautheitsgrad mit einer bestimmten Kompetenz wird man so als Einsteiger, Lernende, Kenner, Könnerin, Experte oder Spezialistin eingestuft.
Entwicklung eines digitalen Tools
In den kommenden Monaten wird das Team eine passende digitale Applikation für Vali50+ entwickeln – im einfachsten Fall eine Internetseite. Der Ökonom Minnig sieht viel Potenzial darin: «Das Tool wird nicht nur Berufstätigen und Arbeitssuchenden helfen. Auch Fachleute aus den Personalabteilungen oder Führungskräfte können damit die digitalen Kompetenzen von Bewerbern oder Mitarbeiterinnen besser beurteilen.»
Das digitale Werkzeug richtet sich zudem an Fachpersonen der Arbeitsvermittlung, die es künftig gemeinsam mit den Arbeitssuchenden für eine Standortbestimmung nutzen können. So lassen sich individuell zugeschnittene Bewerbungsstrategien entwickeln oder passende Weiterbildungen wählen.
Das Team um Schmid und Minnig sondiert bereits, wie das Tool am besten in die Praxis überführt werden kann: Die Möglichkeiten reichen vom Einsatz am Institut für Weiterbildung und Beratung der Pädagogischen Hochschule FHNW über die Weitergabe an ein externes Bildungsinstitut oder eine regionale Arbeitsvermittlungsstelle bis hin zum Verkauf an ein Unternehmen. Als nächstes wollen die Forschenden berufsspezifische Kompetenzmodelle erarbeiten.