Aus dem rund zwei Millimeter grossen Gehirn der Bienen lässt sich das genetische Material isolieren. (Foto: René Ruis)
28. November 2017

Auf der Suche nach Ursachen für das Bienensterben

Das Bienensterben ist seit Jahren ein viel beachtetes Thema. Doch welche Pflanzenschutzmittel Bienen schaden, ist nach wie vor umstritten. Nun untersuchen Forschende der FHNW das Gehirn der Nützlinge, um mehr Klarheit zu gewinnen. Ihr Ziel: die Entwicklung einer neuen Methode, mit der sich die Gesundheit der Bienen beurteilen lässt. So wollen sie die Tiere künftig besser schützen. Auf Besuch bei einem Bienenstock, der im Dienst der Forschung steht.

Behutsam zieht Verena Christen eine Wabe aus dem Stock. Darauf krabbeln Hunderte von Bienen herum. Tausende weitere schwirren in der Luft umher. «Bienen mögen es nicht, wenn man sie längere Zeit stört», sagt die Bienenforscherin von der Hochschule für Life Sciences FHNW. Sogar die zu Sanftmut herangezüchteten Honigbienen werden dann nervös. Deshalb trägt Christen Schutzhandschuhe und eine dicke Imkerjacke. Sie will an diesem sonnigen Nachmittag Ende September noch einmal einige Exemplare der nützlichen Insekten einsammeln.

Bienenforscherin Verena Christen sammelt die Tiere aus dem Versuchsbienenstand. (Foto: René Ruis)

Die Biologin und Imkerin züchtet im deutschen Steinen gleich hinter der Grenze bei Basel rund 30 Honigbienenvölker. Vier davon dienen der Forschung. An ihnen untersuchen die Bienenforscherinnen und -forscher um Karl Fent, Professor für Ökotoxikologie an der Hochschule für Life Sciences FHNW, wie das Gehirn der Insekten auf Pflanzenschutzmittel reagiert. Dabei konzentrieren sich die Forschenden auf die sogenannten Neonicotinoide, hochwirksame Insektizide. Drei Substanzen aus dieser Klasse – Imidacloprid, Thiametoxam und Clothianidin – dürfen zurzeit in der EU und der Schweiz nur eingeschränkt eingesetzt werden. Ein definitives Verbot ist noch hängig. Zwar haben mehrere Labor- und Feldversuche in den letzten Jahren gezeigt, dass die Substanzen Honigbienen wie auch Wildbienen und Hummeln schädigen: Sie greifen das Immunsystem der Nützlinge an, vermindern ihre Fruchtbarkeit oder stören ihren Orientierungssinn. Doch noch ist nicht zweifelsfrei geklärt, ob sich tatsächlich eine kritische Menge der Mittel in Blütenpollen und Nektar ansammelt und so in die Bienenstöcke gelangt – darüber streiten Forschende und die Hersteller der Chemikalien.

Belastungen früher erkennen

Einer der Gründe für die Unklarheit: «Wenn die Bienen krank werden, merken Forscher und Imker das meist zu spät», sagt Ökotoxikologe Karl Fent. Oft erst dann, wenn die Bienen sterben oder gar ganze Völker eingehen. Das will der Forscher zusammen mit seinem Team ändern. Deshalb arbeiten die FHNW-Expertinnen und -Experten an einer neuen Methode, die Gesundheit der Bienen zu beurteilen. Ihr Ziel ist die Entwicklung einer Früherkennung – einer Möglichkeit, einzelne Bienen zu diagnostizieren, bevor Tausende Tiere an der Belastung durch die Chemikalien sterben.

«Wenn die Bienen krank werden, merken Forscher und Imker das meist zu spät.»
Karl Fent, Ökotoxikologe

Jetzt bläst Verena Christen eine Wolke aus dem Smoker, der Rauchmaschine der Imker, auf die Wabe in ihrer Hand, um so die Bienen zu beruhigen. Dann besprüht sie die Insekten mit einem feinen Wassernebel. «So können sie kurze Zeit nicht fliegen», erklärt die Biologin. Zack, sie schlägt die Wabe ab, und eine Traube von Bienen purzelt auf eine ausgelegte Folie. Etwa 100 Exemplare füllt die Forscherin in einen Plastikbehälter. Darin transportiert sie die Versuchstiere ins Labor, wo sie in einen Inkubationsschrank kommen, in dem dieselben Bedingungen herrschen wie im Bienenstock: eine Luftfeuchtigkeit von 60 Prozent und eine Temperatur von an die 30 Grad Celsius. Nun beginnt das Experiment. Christen füttert die Versuchsbienen mit Zuckerwasser, das unterschiedliche Neonicotinoide in verschiedenen Dosierungen enthält.

Neonicotinoide wirken auf das Gehirn

Drei Tage später betäubt sie die Bienen und tötet sie dann durch Einfrieren. Mit Skalpell und Pinzette operiert sie die Gehirne der Versuchstiere heraus und isoliert daraus die Ribonukleinsäure, kurz RNA – einen genetischen Informationsträger. Auf diese Weise lässt sich bei jedem Tier die Aktivität von 15 Schlüsselgenen analysieren, welche das Immunsystem steuern. Dabei stellte Verena Christen fest: Die Neonicotinoide verändern die Aktivität dieser Gene im Bienenhirn. «Damit haben wir einen Anhaltspunkt, um eine chemische Belastung der Bienen aus deren genetischem Material herauszulesen», sagt die Forscherin. Dass eine Schwächung des Immunsystems für die Bienen fatal sein kann, zeigt ein Vergleich mit der berüchtigten Varroamilbe. Dieser Parasit greift ebenfalls das Immunsystem der Insekten an. Er macht die Bienen anfälliger für bestimmte Viren und tötet so in der Schweiz jedes Jahr Hunderttausende Exemplare. Und: Eine zusätzliche Belastung durch Neonicotinoide könnte die Nützlinge sogar noch anfälliger gegenüber den gefährlichen Milben machen, befürchten die Forschenden.

Aus einer der Zellen schlüpft eine neue Arbeiterin. (Foto: René Ruis)

Als Nächstes nehmen Verena Christen und Karl Fent weitere unerwünschte Wirkungen auf die Nützlinge unter die Lupe. So wollen sie zusammen mit Wissenschaftlern der Forschungsanstalt Agroscope untersuchen, wie sich durch Pestizide ausgelöste Störungen der Orientierungsfähigkeit auf die Aktivität der Gene im Bienenhirn auswirken. Dank solcher Methoden soll dereinst die Analyse einer Handvoll Bienen ausreichen, um den Gesundheitszustand von mehreren Bienenvölkern zu beurteilen.

Bei ihrem Bienenstock in Steinen schiebt Christen die Wabe zurück in die Bienenkiste. Eine der Bienen hat ihr die Störung übel genommen – sie hängt an ihrer Imkerjacke, wo sie sich totgestochen hat. Die Forscherin geht ein paar Schritte zurück und streift sich den Schutzschleier ab. Für dieses Jahr lässt sie ihre Schützlinge in Ruhe. Dicht aneinandergedrängt werden diese im Stock überwintern –, um im nächsten Frühling wieder auszuschwärmen.

Pflanzenschutzmittel im Bienenhonig

Pestizide aus der Landwirtschaft gelangen auch in den Bienenhonig. Dies zeigt eine Untersuchung von Biologinnen und Biologen der Universität Neuenburg. In einem Citizen-Science-Projekt forderten sie Privatpersonen auf, originalverpackten Honig aus den Ferien mitzubringen. Aus den über dreihundert eingegangenen Proben aus aller Welt wählten die Forscher rund zweihundert aus – repräsentativ um den Globus und auf verschiedene Standorte verteilt. Daraufhin analysierten die Forschenden deren Gehalt an Neonicotinoiden. Resultat: Drei Viertel der untersuchten Honigproben enthielten die für Bienen giftigen Pflanzenschutzmittel. Neonicotinoide zählen heute zu den weltweit am häufigsten eingesetzten Pflanzenschutzmitteln. Immerhin wurden in den untersuchten Proben die für den menschlichen Verzehr zulässigen Grenzwerte nicht überschritten. 

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