Carmen Zahn ist Dozentin an der Hochschule für Angewandte Psychologie FHNW. Einer ihrer Forschungsschwerpunkte sind digitale Tools z.B. im Schulunterricht, für kreatives Lernen oder zur beruflichen Integration von Migrantinnen und Migranten. (Bild: zVg)
26. November 2019

Digital fit werden – ohne die Menschen zu vergessen

Digitalisierung ist der Megatrend in Unternehmen und Institutionen. Doch nicht selten wird dabei über die Köpfe der Anwenderinnen und Anwender hinweggeplant. Ein neuer Test zeigt, wie Mitarbeitende den Grad der Digitalisierung in ihrem Unternehmen einschätzen und wie gut sie mit digitalen Tools umgehen können.

Noch vor drei Jahren war die Digitalisierung für Marko Brumec kaum ein Thema. «Was soll der Hype?», dachte der Konrektor der Berufsfachschule aprentas. Doch seither hat er erkannt: «Da kommt etwas Grosses auf uns zu.»

Die Schule in Muttenz bildet Fachpersonen in Labor- und Produktionsberufen für Konzerne wie Novartis und Syngenta aus. In den Labors hält die Digitalisierung ungebremst Einzug. Nahm man früher während einer chemischen Reaktion lediglich etwa drei Messungen vor, so können es heute in der gleichen Zeit gut und gern deren tausend sein. Dabei entstehen riesige Datenmengen, die sachkundig ausgewertet werden müssen. «Auf diese Realität müssen wir unsere Lernenden gut vorbereiten», sagt Brumec.

Um das Thema Digitalisierung systematisch anzugehen, hat der Konrektor vor einem Jahr den Zertifikatslehrgang «Digitalisierung in der Arbeitswelt – psychologische Perspektiven» an der Hochschule für Angewandte Psychologie FHNW in Olten besucht. In diesem Rahmen hat er auch den neuen Test namens «Fit4Digit» kennengelernt, mit dem sich digitale Kompetenz in Teams oder Organisationen messen lässt. Der Onlinefragebogen gibt Aufschluss darüber, wie häufig Mitarbeitende digitale Technologien nutzen, wie hilfreich sie diese einschätzen und wie kompetent sie sich dabei fühlen. Am Ende liefert er ein Feedback des Ergebnisses sowohl für die einzelne Person als auch für ganze Teams oder Institutionen. Dieses schafft die Basis, um eine gezielte Weiterentwicklung einzuleiten.

«Wir hören immer wieder, dass die Technologie den Menschen unreflektiert vorgesetzt wird.»
Carmen Zahn, Hochschule für Angewandte Psychologie FHNW

Programme, Prozesse und Menschen müssen zueinander passen

«Wenn man sich im digitalen Wandel gut aufstellen möchte, ist es wichtig, die Mitarbeitenden ins Boot zu holen», betont Carmen Zahn. Die Psychologie-Professorin hat Fit4Digit zusammen mit ihrem Kollegen Oliver Rack und ihrer Mitarbeiterin Magdalena Mateescu entwickelt. «In der Psychologie richten wir unseren Blick stets auf das gesamte System Mensch-Technik-Organisation», erklärt Zahn. «Wir hören immer wieder, dass Digitalisierungsprojekte scheitern, wenn sie einfach an die IT-Abteilung delegiert werden und die Technologie den Menschen unreflektiert vorgesetzt wird.» Von der Digitalisierung verspreche man sich teilweise zu viel, sagt sie auch. Etwa, dass damit die Arbeit automatisch effizienter, schneller und billiger wird. Dies erfülle sich aber nur, wenn die zur Verfügung gestellten Geräte und Programme optimal auf die Arbeitsprozesse und die Kompetenzen der Nutzenden zugeschnitten werden, betont Zahn. «Sonst ist der Aufwand am Ende grösser als der Nutzen.»

Einen solchen Leerlauf wollte Marko Brumec in der Berufsfachschule vermeiden. Im Rahmen seiner CAS-Abschlussarbeit hat er deshalb eine Fallanalyse des Transformationsprozesses bei aprentas erstellt und dabei neunzehn Lehrpersonen den Fit4Digit-Fragebogen ausfüllen lassen. Um möglichst ehrliche Antworten zu erhalten, wurden die Eingaben anonym erfasst. Dabei zeigte sich, dass der Grossteil der Befragten die digitale Organisationskultur als mittelmässig einschätzt und mit den zur Verfügung gestellten Mitteln nur halbwegs zufrieden ist. Ein Säulendiagramm veranschaulicht die Resultate grafisch.

«Da kommt etwas Grosses auf uns zu.»
Marko Brumec, Berufsfachschule aprentas

Auf Bildungsinstitutionen und Verwaltungen zugeschnitten

Vor dem Einsatz in der Praxis wurde das Instrument an zwei Hochschulen der FHNW getestet und optimiert. Inzwischen steht auch eine Variante zur Verfügung, die für Studierende adaptiert wurde. Master-Studierende entwickelten zudem in einer Forschungswerkstatt ein Vermarktungskonzept. Zwar gebe es auf dem Markt bereits diverse Angebote, die Unternehmensberatungen einsetzen, um den Digitalisierungsgrad in Firmen zu messen, ist Zahn bewusst. Doch erst wenige davon würden sich für wissensintensive Bereiche wie etwa Bildungsinstitutionen, Hochschulen, Bibliotheken und öffentliche Verwaltungen eignen. Genau auf solche Institutionen ist Fit4Digit zugeschnitten. Doch auch andere Unternehmen sowie industrielle Betriebe können profitieren, denn die Fragen können angepasst werden.

Der Test «Fit4Digit» ist speziell auf die Digitalisierung in wissensintensiven Bereichen wie Bildungsinstitutionen zugeschnitten.
(Bild: istockphoto.com/skynesher) Rear view of group of people at a computer class raising their hands. Teacher is teaching in the background.

Von «Digital Natives» lernen

Mit dem Fit4Digit-Test gewannen die Verantwortlichen der Berufsfachschule aprentas einen ersten Überblick über die Situation. Darauf konnten sich die Lehrpersonen in Workshops differenziert dazu äussern, wo sie Handlungsbedarf sehen. So bemängelten zum Beispiel einige die unzureichende Infrastruktur: Die Schule verfügte damals noch nicht flächendeckend über WLAN und es stehen noch keine mobilen Endgeräte zur Verfügung, die flexibles Arbeiten ermöglichen. Zudem beurteilten viele das Angebot an Softwarelösungen als zu starr. Aus Sicherheitsgründen können Lehrpersonen nicht selber Programme installieren, die für ihre spezifische Tätigkeit hilfreich wären. Dies soll künftig zumindest auf den mobilen Geräten, die angeschafft werden, möglich sein. Gemeinsam mit den Mitgliedfirmen hat die aprentas Lernziele für die digitale Arbeitswelt definiert. Die Lehrpersonen erweitern ihre Kenntnisse laufend in internen Schulungen sowie individuellen Weiterbildungen. Man strebe bewusst einen partizipativen Prozess sowie eine konstruktive Fehlerkultur an, erklärt Marko Brumec. «Unsere Lehrpersonen können auch viel von den jungen Lernenden profitieren, die mit den digitalen Medien aufgewachsen sind.»

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