La Roue – Mehr Gartenglück durch Design
Kaum ein Gartengerät wird häufiger benutzt als die Giesskanne. Doch oftmals ist sie unhandlich und schwer. Dies soll sich mit einem Abschlussprojekt des Studiengangs Industrial Design der FHNW ändern: Eine Kanne geformt wie ein Rad erleichtert die Gartenarbeit auch für Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen.
Für prächtige Blumen und kräftiges Gemüse braucht es vor allem eines: regelmässiges Giessen. Doch wer keinen Gartenschlauch zur Hand hat, stösst hier schnell an körperliche Grenzen. «Obwohl die Gartenarbeit für viele, auch betagte Menschen von grosser Bedeutung ist, gibt es nur wenige auf Inklusion ausgerichtete Werkzeuge in diesem Bereich», erklärt der Industriedesigner Sven Adolph von der Hochschule für Gestaltung und Kunst Basel FHNW. Umso mehr freut er sich, dass Christine Beglinger das Thema im Studiengang Industrial Design an der FHNW aufgegriffen hat. «Ich bin fasziniert von der ergotherapeutischen Arbeit und dem Gärtnern. Daher wollte ich einen Beitrag leisten, dass die grüne Oase für alle Menschen zugänglich bleibt», sagt Beglinger. Herausgekommen ist «La Roue»: eine grüne, futuristisch anmutende, ergonomische Giesskanne.
Beschwerliches Giessen
La Roue ist französisch und bedeutet Rad. Dass die neue Giesskanne radförmig und grün wird, war dabei nicht von Anfang an klar. Dass ihr «Projekt» überhaupt eine Giesskanne wird, wusste die Studierende ebenfalls noch nicht, als sie nach einem Thema für ihre Bachelorarbeit suchte.
Den Ausschlag gab ein Kontakt zur Rheumaliga, wo Beglinger zahlreiche Interviews mit Betroffenen und Mitarbeitenden führte. «Erst in den Interviews mit Betroffenen wurde mir bewusst, welche Einschränkungen herkömmliche Giesskannen für diese Menschen bedeuten», erinnert sich die Designerin. «Viele Betroffene mit rheumatischen Erkrankungen können nicht mehr richtig greifen, die Kannen sind schwer und müssen über ihren Schwerpunkt nach vorn gekippt werden, damit das Wasser ausläuft. Dafür fehlt den Betroffenen oftmals die Kraft.»
Wegweisende Fokusgruppe
Meret Ernst, Dozentin für Designgeschichte und Designtheorie an der Hochschule für Gestaltung und Kunst Basel FHNW, hat die Bachelorarbeit von Christine Beglinger gemeinsam mit Sven Adolph betreut. «Während ihrer Recherche wurde von der Rheumaliga eine Fokusgruppe ins Leben gerufen, die sich mit den Bedürfnissen Betroffener im Gartenalltag beschäftigte», berichtet die Dozentin. «Deren Feedback sowie ihre vertieften Marktanalysen zeigten, dass sich das Design von Giesskannen seit Jahrzehnten kaum weiterentwickelt hat und ergonomische Aspekte bisher eine untergeordnete Rolle spielten.» Diese Erkenntnis gab den Anstoss für den Designprozess von «La Roue».
Ausgeklügeltes System
Die kreisförmige Gestalt war nicht nur eine ästhetische Entscheidung, sondern vor allem eine praktische, um die grosse Belastung des Handgelenks, die beim Giessen mit einer regulären Kanne auftritt, zu vermeiden. So verfügt die Giesskanne jetzt über ein Griffsystem, das man mit zwei Händen bedienen kann. Beidseits am Kannenkörper befindet sich eine breite Einkerbung, in der ein Griff beweglich gelagert ist. Zusätzlich gibt es einen zweiten, aber fixen Griff, der von unten mit der Hand umfasst wird. «Wenn man mit einer Hand oben den Griff hält, lässt sich die Kanne mit der anderen Hand unten greifen und nach vorne kippen», erklärt Sven Adolph. «Durch den verbauten Mechanismus bleibt somit der Griff stabil an Ort und Stelle und die Kanne kann problemlos Wasser ausgiessen – und schont dabei die Handgelenke. Hinzu kommt, dass die Giesskanne durch ihre Form nahe am Körper gehalten werden kann.»
Preisverdächtiges Design
Um das ideale, dauerhafte und witterungsbeständige Material für ihr Produkt zu finden, hat sich Christine Beglinger mit einem renommierten Schweizer Kunststoffhersteller ausgetauscht. Trotzdem bleibt «La Roue» bisher ein Einzelstück und ist nicht käuflich erhältlich.
Dass diese Giesskanne das Potenzial hat, vielen betagten Gartenliebhaber*innen das Giessen zu erleichtern, sah auch die Jury des Design Preis Schweiz und nominierte «La Roue» 2023 in der Sparte Young Professionals. «Der Design Preis Schweiz ist der wichtigste nationale Preis für Industriedesign. Dort mit einer Bachelorarbeit nominiert zu sein, ist wirklich eine beachtliche Leistung», lobt Meret Ernst. Auch der Studiengang Industrial Design zeichnete das Projekt der Designerin besonders aus. Sie gewann den Preis für die beste Theoriearbeit.
So aussergewöhnlich der Mechanismus und die Form der Giesskanne sind, wirkt die Farbe mit ihrem Dunkelgrün sehr vertraut. Diese Vertrautheit macht sie für alle zugänglich, nicht nur für Menschen mit Handicap. Beglinger ist überzeugt: «Jeder Mensch kann von einem ergonomischen Design profitieren – ganz besonders bei Gegenständen und Werkzeugen im Alltag.»