
Nachhaltig in der Tieflohnbranche?
Tiefe Löhne, unregelmässige Arbeitszeiten und ein rauer Umgangston prägen das Image der Hotel- und Gastronomiebranche als Arbeitsplatz. Die Konsequenz: ein hoher Personalmangel und eine Abwanderung von Personal in andere Branchen. Was können Hotel- und Gastrobetriebe unternehmen, um die Arbeitsbedingungen zu verbessern? Ein Gespräch dazu mit Nathalie Amstutz, Ellenor Hunn und Laura Tognetti vom Institut für Personalmanagement und Organisation der Hochschule für Wirtschaft FHNW.
Nathalie Amstutz: Attraktive Bedingungen bedeuten in erster Linie faire Löhne, verlässliche Arbeitszeiten und soziale Absicherung. Wichtig ist ein wertschätzendes Betriebsklima, in dem Mitarbeitende gern und langfristig arbeiten wollen.
Laura Tognetti: Aber Attraktivität bedeutet nicht nur Lohn oder Freizeit. Es geht um die konkrete Alltagserfahrung im Betrieb: Werden Mitarbeitende mit ihren Ideen ernst genommen? Gibt es faire Entwicklungschancen, auch für Mitarbeitende ohne branchenspezifischen Berufsabschluss?
Ellenor Hunn: Die Betriebe in unserem Projekt zeigen uns zahlreiche Möglichkeiten auf. Eine Herausforderung, die sie nennen, ist die Arbeitsplanung. Einige Betriebe verzichten bewusst auf Zimmerstunden oder planen Schichten frühzeitig, damit Mitarbeitende ihr Leben besser organisieren können. Besonders spannend finde ich Betriebe, die bewusst auf flache Hierarchien setzen und Mitarbeitende aktiv in Entscheidungen einbeziehen – etwa bei neuen Angeboten oder Organisationsprozessen.
Amstutz: Wenn jemand lange in Teilzeit und im Tieflohnbereich arbeitet, hat das gravierende Folgen für die finanzielle Sicherheit im Alter. Einzelne Betriebe federn das ab, indem sie freiwillig höhere Beiträge in die Pensionskasse einzahlen oder den Koordinationsabzug anpassen. Hier wären z.B. weitere steuerliche Entlastungen der Betriebe zu diskutieren, um sie bei diesen Massnahmen zu unterstützen.

Tognetti: Dies sind nur einige Beispiele. Wir wollten mehr zu diesem Thema wissen und haben deshalb ein Projekt mit Betrieben gestartet, die schon aktiv etwas unternehmen. Zu den Problemstellungen der Arbeitsbedingungen in der Hotel- und Gastrobranche wissen wir bereits einiges, zu den Aktivitäten in der Praxis, um diese Bedingungen zu verbessern, jedoch wenig. Das Projekt wird vom Eidgenössischen Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann gefördert. Denn in der Gastronomie arbeiten viele Menschen unter nicht idealen Bedingungen, insbesondere Frauen. Das wirkt sich langfristig auf ihre soziale Sicherheit und Altersvorsorge aus. Mit unserem Projekt wollten wir genau da ansetzen: praxisnahe Lösungen entwickeln, die Gleichstellung und betriebliche Realitäten im Blick haben.
Amstutz: Gerade in der Hotellerie und Gastronomie arbeiten viele Menschen in Bereichen, die gesellschaftlich wenig Anerkennung erfahren – etwa im Service, in der Reinigung oder Küche. Dabei verfügen diese Mitarbeitenden über ein grosses Wissen, auch wenn sie keine formalen Abschlüsse haben. Deshalb haben wir bewusst einen partizipativen Forschungsansatz gewählt und die Menschen aus der Praxis einbezogen. Wir verstehen die Mitarbeitenden als Expert*innen ihrer eigenen Arbeitsrealität. Sie kennen die Abläufe, wissen, was funktioniert und was nicht. Wer ihnen zuhört, gewinnt wertvolle Einblicke. Auch bei unseren Praxisbetrieben ist Mitwirkung ein wichtiger Aspekt und hat einen positiven Einfluss auf die Personalbindung.
Tognetti: Konkret haben wir in mehreren Runden Workshops und Interviews mit Beschäftigten und Führungspersonen aus acht Betrieben durchgeführt – teils gemischt, teils getrennt. So konnten sich alle Beteiligten in einem geschützten Rahmen einbringen.
Hunn: Wir haben gezielt nach Betrieben gesucht, die sich sozial nachhaltig positionieren – also aktiv daran arbeiten, faire Arbeitsbedingungen zu schaffen. Es sind bereits viele Betriebe bereit, neue Wege zu gehen.
Amstutz: Wir wollten eine Mischung von verschiedenen Betriebsgrössen, um möglichst viele Realitäten darzustellen. Dass die Unternehmen sich als sozial nachhaltig positionieren, heisst nicht, dass sie für alles schon Lösungen parat haben. Sie sind aber am Austausch mit anderen Betrieben und der FHNW interessiert, um weitere Anregungen zu bekommen und ihre Erfahrungen weiterzugeben.
Tognetti: Wir entwickeln eine Webseite, auf der alle gesammelten Lösungsansätze in Form einer Map zugänglich gemacht werden. Diese Map zeigt entlang von sieben Handlungsfeldern, wie Arbeitsbedingungen sozial nachhaltig gestaltet werden können – von der Arbeitszeitgestaltung über Gleichstellung bis hin zu Weiterbildungsmöglichkeiten. Betriebe können sich dort gezielt Inspiration holen, und zwar praxisnah und verständlich aufbereitet.
Hunn: Neben der Map bieten wir künftig auch ein Analyse-Tool. Mit diesem können Betriebe ihren eigenen Stand in Sachen sozialer Nachhaltigkeit ermitteln. Dabei beantworten sie Fragen zu verschiedenen Bereichen wie etwa zu Weiterbildung, Lohnstruktur oder Teilhabe. Am Ende ist angedacht, dass die Betriebe eine grafische Auswertung erhalten, die zeigt, wo sie gut aufgestellt sind und wo es noch Entwicklungspotenzial gibt.
Amstutz: Die Betriebe, die mitmachen, haben unterschiedliche Schwerpunkte gelegt. Während die einen sich stark mit Weiterbildung und Personalentwicklung befassen, bemühen sich andere um die soziale Absicherung. Auch das Thema Schutz vor Diskriminierung und sexueller Belästigung ist wichtig. Hier erleben Personen in der Hotel- und Gastro-Branche nach wie vor Übergriffe – ein Beispiel erwähnte Belästigung durch alkoholisierte Gäste. Arbeitgebende sind gesetzlich verpflichtet, präventive Massnahmen zu treffen, das ist eine Ressource, die noch zu wenig bekannt ist.
Tognetti: Zu diesem Thema zeigen wir in der Map konkrete Massnahmen, mit denen Betriebe aktiv werden können, zum Beispiel durch klar kommunizierte Ansprechpersonen, eine Null-Toleranz-Policy oder Schulungen für Mitarbeitende. Einige unserer Pilotbetriebe haben hier bereits gute Lösungen umgesetzt.
Amstutz: Wir arbeiten hierfür mit dem Institute Digital Communication Environments der Hochschule für Gestaltung und Kunst Basel FHNW zusammen. Diese Zusammenarbeit ist ein integraler Bestandteil des Projekts und hilft, unsere Inhalte präziser zu formulieren, zu strukturieren und schliesslich zu visualisieren. Komplexe Themen lassen sich mit grafischen Elementen einfacher vermitteln.
Hunn: Wir planen die Veröffentlichung der Map und des Analyse-Tools für Anfang 2026. Danach werden wir das Projekt noch inhaltlich weiter begleiten.
«New Work» – eines von drei Zukunftsfeldern der FHNW
Im Rahmen ihrer Strategie FHNW 2035 wird die FHNW in den drei Zukunftsfeldern Future Health, Zero Emission und New Work ihre multidisziplinären Kompetenzen in den kommenden Jahren bündeln und ausbauen. Damit möchte sie in den gesellschaftlich relevanten Themenfeldern Arbeit, Gesundheit und Umwelt/Nachhaltigkeit neue Impulse für Lösungen zu aktuellen Problemfeldern der Wirtschaft und Gesellschaft geben.