Daniel Mentes’ Beitrag zum Wettbewerb erhielt bereits zehntausende Klicks.
18. Juni 2020

Videowettbewerb zur Corona-Zeit spornt Musikstudierende zu kreativen Höchstleistungen an

Kurz nach Beginn des Lockdowns lancierte die Hochschule für Musik FHNW/Musik-Akademie Basel einen Videowettbewerb, um Corona-Betroffenen Mut zu machen. Über 200 Studierende nahmen daran teil und hielten auf kreative und originelle Art ihre musikalischen Botschaften auf Video fest.

Ein junger Mann steht vor dem Spiegel und übt das bekannte geistliche Lied «Lobet den Herrn». Plötzlich wird seine Gesangsübung unterbrochen von einer SMS: «S.O.S. Menschen sind in Not. Hilf, wenn du kannst.»

Der junge Mann ist der 28-jährige Daniel Mentes. Er studiert an der Schola Cantorum Basiliensis der Hochschule für Musik der FHNW Gesangspädagogik und produzierte einen besonders kreativen Beitrag für den Wettbewerb #musicalthought4u der Hochschule für Musik FHNW.

In der zweiten Kameraeinstellung rauft der Sänger einen Stapel CDs in eine Tasche, schwingt sich auf sein Fahrrad und wirft die Tonträger dann in die Briefkästen verschiedener Empfängerinnen und Empfänger. Einer davon spielt stellvertretend die CD ab: Nun erscheint Daniel Mentes viermal auf einem geteilten Bildschirm, jeweils in einem anderen Outfit. Er singt jetzt vierstimmig mit sich selbst – auch ein Hinweis darauf, wie schwierig das Musizieren in Zeiten der Isolation ist. Die Musik beginnt mit der ersten Strophe des eingangs erwähnten Liedes. Die darauffolgenden Strophen hat Mentes selber geschrieben und arrangiert. Nicht «Lobet den Herrn», sondern «Denk an die Ärzte und Schwestern» heisst es da etwa, und «vergiss nicht dankbar zu sein». Am Ende kehrt Mentes zum Original zurück. Für jede Stimmlage und jede Strophe trägt er passende Kleider, etwa die eines Arztes, eines Kochs, des Musikers oder des Kranken.

«Wir waren sehr erfreut über den grossen Rücklauf»
Sibille Stocker, Hochschule für Musik FHNW

Der Videobeitrag brachte Mentes eine Auszeichnung von 700 Schweizer Franken. Mit seinem wurden 35 weitere Videos mit dem Geldpreis prämiert. Insgesamt reichten über 200 Studierende 105 Videobeiträge ein. «Wir waren sehr erfreut über den grossen Rücklauf», sagt Sibille Stocker von der Hochschule für Musik FHNW. Sie und ihr Kommunikationsteam zeichneten verantwortlich für die Planung, Umsetzung und Kommunikation des Wettbewerbs.

Aus allen eingegangenen Beiträgen wählten Jurys der drei Institute der Hochschule für Musik FHNW Favoriten aus. Zu ihnen zählt neben Daniel Mentes zum Beispiel Silvan Joray vom Institut Jazz, mit einer musikalischen Transkription der Sprechmelodie einer Rede, oder die Cellistin Alessandra Gallo vom Institut Klassik, die ein Gedicht aus ihrer Heimat Gallizien musikalische auf die Corona-Situation ummünzte.

Cellistin Alessandra Gallo münzte ein Gedicht aus ihrer Heimat Gallizien musikalische auf die Corona-Situation um.

Studierende in finanzielle Schwierigkeiten

Die Idee für den Wettbewerb ging vom Direktor der Hochschule, Stephan Schmidt, aus und hatte zwei Aspekte: Die Förderung neuer Kompetenzen und die finanzielle Unterstützung. «Unmittelbar nach dem Lockdown haben wir Hilferufe von unseren Studierenden erhalten, weil sich deren finanzielle Situation drastisch zugespitzt hatte», sagt Stocker. Dies unter anderem, weil viele von ihnen durch Live-Konzerte oder Nebenjobs, zum Beispiel im Service, Geld verdienten und diese Erwerbsmöglichkeiten durch die Massnahmen des Bundes weggefallen seien. «Uns ist klar, dass 700 Franken nur ein Zustupf sind», sagt Stocker. Deswegen habe man zusätzlich einen Hilfsfonds aus Spendengeldern eingerichtet, der Studierende in besonders prekären Lagen unterstützen soll.

Es ging aber nicht nur um die Finanzen. «Da kein regulärer Unterricht stattfinden konnte, wollten wir den Studierenden eine Aufgabe stellen, bei der sie gefordert sind», erläutert Stocker. Sie sollten sowohl etwas Neues lernen, also zum Beispiel, neue Technologien ausprobieren. Aber sie sollten auch etwas machen, was ihr Portfolio ergänzt und ihnen in der Zukunft hilft. «Die Online-Präsenz wird immer wichtiger, ebenso die Frage, wie man sich im Web und den Sozialen Medien präsentiert», so Stocker.

«Da kein regulärer Unterricht stattfinden konnte, wollten wir den Studierenden eine Aufgabe stellen, bei der sie gefordert sind.»

Gut für die Zukunft

Für Hanan Isabella Kohlenberger, die am Institut Klassik Musik und Bewegung studiert, hat sich die Teilnahme am Wettbewerb auch aus technischer Sicht gelohnt: «Ich habe zum Beispiel mit Aufnahmeequipment gearbeitet, das ich vorher noch nicht eingesetzt hatte», sagt die 34-Jährige. «Es ist sinnvoll, dass man sich mit Produktionstechnik auskennt und sich selbst zu helfen weiss». Deshalb sei die Teilnahme am Wettbewerb unterstützend für ihre Zukunft gewesen.

Und natürlich sollte das Video laut Wettbewerbsausschreibung auch mit einer Botschaft verbunden sein. «Für mich ist es immer wichtig, dass die Projekte, die ich mache, einen Sinn haben. Einfach nur zum Spass, nur für mich, hätte ich dieses Video nicht gemacht», sagt Sänger Mentes. Das sieht auch Kohlenberger ähnlich. Sie hat zusammen mit ihrer Kommilitonin Sonja Merz einen Wettbewerbsbeitrag eingereicht. «Unser Beitrag steht für Menschlichkeit, Solidarität und Grenzenlosigkeit», sagt Kohlenberger. Grenzenlosigkeit, die sich in dem Lied, welches sie singt und Merz auf der Gitarre begleitet, zeigt: Hier kombiniert die Musikerin ein gesungenes jüdisches Bittgebet mit Zeilen aus einem arabischen Lied der libanesischen Sängerin Carole Samaha und eigenem Text auf Französisch. Dazu tanzen die beiden Frauen. Allerdings: Jede für sich. Denn im Lied konnten die zwei Musikerinnen zwar Grenzen überwinden, doch während des Drehs waren sie nicht nur aufgrund von «social distancing» getrennt, sondern auch durch die geschlossene Grenze zwischen Deutschland, wo Kohlenberger lebt, und der Schweiz.

Anspornpreise für Beiträge mit Potenzial

Nicht allen Studierenden gelang die Umsetzung ihrer Ideen so gut wie Mentes und Kohlenberger. «Ich bin sehr dankbar, dass ich für meinen Betrag Unterstützung hatte», sagt Mentes. So habe ihm etwa sein Schwager beim Schneiden geholfen. Die Wettbewerbsverantwortliche Stocker sagt dazu: «Bei den technischen Fertigkeiten und der Unterstützung hatten nicht alle Studierenden die gleiche Ausgangslage». Deshalb seien noch weitere «Anspornpreise» im Wert von 400 Franken vergeben worden. Diese Preise gingen an Beiträge, die zwar nicht veröffentlich wurden, bei denen die Jury jedoch Entwicklungspotenzial sah.

Rückblickend sieht Stocker den Wettbewerb als vollen Erfolg. So wurde die Aktion in mehreren Schweizer Radio- und Zeitungsbeiträgen aufgegriffen. Ausserdem erhielten die Video-Beiträge auf dem YouTube-Kanal der Hochschule für Musik FHNW Zehntausende Views. Das Video von Daniel Mentes etwa wurde über 17’000 mal angeklickt. Auf seinem eigenen Kanal lief es bereits über 90’000 Mal. «Ich habe in der ersten Zeit nach der Veröffentlichung jeden Tag zwei bis drei Nachrichten zu dem Video erhalten», erzählt Mentes. Vor Kurzem sei damit sogar ein Online-Gottesdienst in Deutschland eröffnet worden.

Seine Botschaft hat es also nicht nur als CD in verschiedene Briefkästen geschafft, sondern sich digital über die Landesgrenzen hinweg verbreitet.

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