Mathematik und Musik im Unterricht zu verbinden, kann das Verständnis in beiden Fächern fördern. (Foto: gpointstudio)
27. März 2018

Klingende Wege zur Mathematik

Rhythmen in der Musik, Reihen in der Mathematik – die beiden Fächer haben viele Gemeinsamkeiten, die sich nutzen lassen, wie ein europäisches Forschungsprojekt der Pädagogischen Hochschule FHNW zeigt.

Die Schülerinnen und Schüler sitzen im Kreis und klatschen einen Rhythmus, der sich reihum von Kind zu Kind fortbewegt. Immer wieder setzt eines das Klatschen aus und ruft stattdessen «ping!», «pong!» oder «ping-pong!». Eine zweite Gruppe steht an der Wandtafel und versucht herauszufinden, welchen Regeln das Spiel folgt. An der Tafel entsteht sukzessive eine schematische Darstellung des Musters, und bald wird ersichtlich: Jedes «ping» ist durch drei teilbar, jedes «pong» durch vier, und jedes «ping-pong» durch beide der Zahlen.

Gar nicht so einfach zu sagen, ob wir uns nun im Schulfach Mathematik oder Musik befinden. «Das ist gut so», sagt Markus Cslovjecsek, Leiter der Professur Musikpädagogik an der Pädagogischen Hochschule FHNW. Er leitet ein europäisches Forschungsprojekt mit dem Namen «Klingende Zugänge zur Mathematik», das die Vernetzung der Fächer Mathematik und Musik zum Ziel hat. Gemeinsam mit sieben europäischen Partnerinstitutionen hat er ein entsprechendes Weiterbildungsangebot für Lehrkräfte erarbeitet. Damit soll die Musik im Unterricht helfen, Mathematik zu verstehen – und umgekehrt.

Die schnelle Frage nach dem Nutzen

Wenn Cslovjecsek sein Projekt erklärt, stösst er immer wieder auf dieselbe kritische Frage: Werden die Schüler denn tatsächlich besser in Mathe, wenn die beiden Fächer miteinander vermischt werden? «Es geht nicht darum, ein bisschen Musik zu machen, und dann können die Kinder besser rechnen, oder umgekehrt», sagt der Musikpädagoge. Für ihn greift das Projekt viel tiefer. Heute gehe es in der Schule oft um Effizienz: Wichtige Inhalte sollen den Schülerinnen und Schülern möglichst schnell vermittelt werden. «Das funktioniert aber nicht. Denn nicht jeder Schüler ist gleich getaktet», sagt er. «Es ist, als würde man versuchen, in einer Fabrik Schrauben zu produzieren, aber das dazu verwendete Metall ist mal weich, mal hart, mal spröde und mal geschmeidig.» Lernen sei abhängig vom Können und Wollen jeder und jedes Einzelnen. Die Aufgabe der Lehrpersonen ist es, möglichst gute Bedingungen für motiviertes Lernen zu bieten. 

«Nicht jede Schülerin und jeder Schüler ist gleich getaktet.»
Markus Cslovjecsek

Dass Musik ein starker Motivator sein kann, hat Cslovjecsek schon vor über 20 Jahren erlebt. Er half damals, ein gross angelegtes Experiment mit über 50 Schulklassen in der Schweiz durchzuführen. Die Klassen büffelten 20 Prozent weniger «harte Schulfächer» wie Mathematik und Sprachen, dafür kamen sie in den Genuss von mehr Musik. Die Leistung der Kinder wurde dadurch zwar nicht besser –, aber sie fiel auch nicht ab: Nach Abschluss des Experiments hatten sie in den «verpassten» Fächern keinerlei Rückstand auf Klassenkameradinnen und Klassenkameraden mit regulärem Stundenplan. 

Schlüsselerlebnis im Klassenzimmer

Während dieses Projekts besuchte Cslovjecsek eine Versuchsklasse im Fach Mathematik. Thema war das Dezimalsystem. Die Drittklässler mussten an der Wandtafel Zahlen mit Strichen in Felder für Einer, Zehner und Hunderter schreiben, ähnlich wie auf einer Jasstafel. Inmitten des Unterrichts schlug ein Junge spontan vor, aus dieser Übung ein Rhythmusspiel zu machen: Für jeden Einer könne man schnippen, für jeden Zehner klatschen und für jeden Hunderter auf die Brust klopfen. Gesagt, getan – schnipp, schnipp, klatsch, klopf – «welche Zahl habe ich gespielt?», fragte der Junge. Ein anderes Kind aus der Klasse wusste die Antwort: «112!»

Eine Gruppe Schülerinnen klatscht nach einem bestimmten Rhythmus, während eine zweite Gruppe herausfinden muss, welchen mathematischen Regeln das Spiel folgt. (Foto: Adriana Bella)

«Das war ein Schlüsselerlebnis für mich», sagt Cslovjecsek. Der Lehrer der Klasse liess es zu, dass der Junge einen ganz anderen, eigenen Zugang zum Schulstoff benutzte. Durch die rhythmische Umsetzung der vorgegebenen Aufgabe wandelte sich das Lernen von einem starren Wiederholungsmuster plötzlich zum selbstständigen Entdecken und Entwickeln.

Cslovjecsek, der selbst sowohl Musik studiert wie auch als Lehrer gearbeitet hat, verfolgte die Idee seither weiter. Im aktuellen Projekt «Klingende Zugänge zur Mathematik» kommt für ihn nun vieles zusammen. Und die Methode stösst im wörtlichen Sinne auf Anklang. Einer der ersten Lehrer, die das Prinzip anwenden und mit den Schülern weiterentwickeln, ist Andreas Richard von der Sekundarschule Steffisburg. Bereits in drei Klassen hat er gute Erfahrungen damit gemacht, die beiden Fächer teilweise miteinander zu verschmelzen. «Es funktioniert aber nicht in beiden Richtungen gleich gut», sagt Richard. «Wenn Musik plötzlich nach Mathe schmeckt, ist das für die Schülerinnen und Schüler nicht sehr attraktiv.» Doch nach einer solchen ersten Ablehnung machen die Kinder engagiert mit. Eine Klasse führte die musikalischen Zählspiele sogar in der Pause weiter. «Ich konnte den Forschungsdrang der Schüler wecken», sagt Richard. Was geschieht, wenn wir mit anderen Zahlen starten? Wie weit schaffen wir es? Der Lehrer wünscht sich, dass solche Experimente in Zukunft mehr Platz im Unterricht bekommen – trotz der Fülle an Themen, die abgearbeitet werden müssen. Gerade im Lehrplan 21, der den Schülern und Schülerinnen vermehrt Kompetenzen statt Wissen vermitteln will: «Solche interdisziplinären Ansätze sind sehr wertvoll, weil sie den Kompetenzerwerb in beiden Fächern unterstützen.»

FHNW Science Slam mit Markus Cslovjecsek und Andreas Richard

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